— 336 —
Gebt uns, wir verhungern fast,
Das nur, was ihr übrig laßt!
Vöglein werden Dank euch bringen —
Die mit Zwitschern, die mit Singen,
Und euch rühmen voller Freud',
Daß ihr Futter ausgestreut.
Bitte, bitte!
5. Vöglein im Winter.
(R. Löwenstein.)
Spätzlein vor den Häusern fragen:
„Habt ihr nicht ein bißchen Brot?"
Fintlein klagen auch und sagen:
„Ach, erbarmt euch unsrer Not!"
Und die Meislein und die Zeislein
Sind jetzt arm wie Bettelleut',
Und sie schreien: „Tisch' und Häuslein
Sind uns allen eingeschneit!"
Auch die Amseln und die Ammern
Sitzen zitternd in dem Schnee,
Und sie frieren, und sie jammern:
„Ach, der Hunger tut so weh!"
Liebe Kinder, streut uns Bröschen,
Werdet nicht im Geben müd';
Wenn dann Veilchen blühn und Röschen,
Singen wir euch Lied um Lied!"
(Staub.)
6. Vöglein im Winter.
Ihr lieben, kleinen Vögelein,
Fliegt alle schnell herbei;
Die Mutter sagt, ihr fändet nichts,
Weil's draußen Winter sei.
Drum Hab' ich Krümchen euch gebracht
Von meinem Vesperbrot,
Kommt schnell herbei, ihr Vögelein,
Dann habt ihr keine Not.
(Cornelia Lechler.)
7. Das Rotkehlchen.
Ein Rotkehlchen kam in der Strenge des Winters an das Fenster eines
frommen Landmannes, als ob es gern hinein möchte. Da öffnete der Land-^
mann sein Fenster und nahm das zutrauliche Tierchen freundlich in seine Woh-
nung. Nun pickte es die Brosamen und Krümchen auf, die von seinem Tische
fielen. Auch hielten die Kinder des Landmannes das Vöglein lieb und wert.
Aber als der Frühling wieder in das Land kam und die Gebüsche sich belaubten,
da entflog der kleine Gast in das nahe Wäldchen, baute sein Nest und sang sein
fröhliches Liedchen.
Doch siehe, als der Winter wiederkehrte, da kam das Rotkehlchen abermals
in die Wohnung des Landmannes und hatte sein Weibchen mitgebracht. Der
Landmann aber und seine Kinder freuten sich sehr, als sie die beiden Tierchen
sahen, wie sie aus den klaren Äuglein zutraulich umherschauten. — Und die
Kinder sagten: „Die Vögelchen sehen uns an, als ob sie etwas sagen wollten!"
Da antwortete der Vater: „Wenn sie reden könnten, so würden sie sagen:
„Freundliches Zutrauen erweckt Zutrauen, und Liebe erzeugt Gegenliebe."
(Nach Krummacher.)
8. Die kleine Wohltäterin.
Es war ein kalter, strenger Winter. Da sammelte die kleine Minna,
die einzige Tochter wohltätiger Eltern, die Krümchen und Brosamen, die übrig
blieben, und bewahrte sie. Dann ging sie hinaus zweimal am Tage auf den Hof
und streute die Krümchen hin. Und die Vöglein flogen herbei und pickten sie
auf. Dem Mädchen aber zitterten die Hände vor Frost in der bitteren Kälte.
Da belauschten sie die Eltern und freuten sich des lieblichen Anblicks und
sprachen: „Warum tust du das, Minna?"
„Es ist ja alles mit Schnee und Eis bedeckt," antwortete Minna, „daß
die Tierchen Uichts finden können; nun sind sie arm, darum füttere ich sie."
Da sagte 'der Vater: „Aber du kannst sie doch nicht alle versorgen!"
Die kleine Minna antwortete: „Tun denn nicht alle Kinder in der ganzen
Welt wie ich?"