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empfangen, Siegfried aber feierlich mit Kriemhild verlobt. Mit Fest-
spielen und großer Pracht wurde die doppelte Hochzeit gefeiert. Im
Ringe der Helden empfing Siegfried die Braut als Gattin. Beim
Mahle saß das glückliche Paar dem König Günther und Brnnhild
gegenüber. Brnnhild aber neidete dem Paare sein Glück, weinte und
sprach zu Günther: „Wie konntest du deine Schwester so erniedrigen
und sie einem ,Eigenholde^ zum Weibe geben?" Günther sprach
heimlich: „Sei still! Ein andermal sag' ich dir, warum ich sie ihm
gegeben. Gewiß wird sie mit ihm in Freuden leben!" Als aber die
Königin allein mit ihrem Manne war, erwachte ihre alte Kampflust.
Sie rang mit Günther, warf ihn nieder, band ihm Hände und Füße
und hängte ihn mit ihrem Gürtet an der Wand auf. Erst nach langem
Bitten befreite sie ihn. Am nächsten Tage wurden die Paare in der
Kirche getraut und hernach allerlei Festspiele gefeiert. Nur Günther
blieb traurig und klagte Siegfried sein Leid. Dieser versprach ihin
seine Hilfe. Abends kam er mit seiner Tarnkappe ins Gemach und
bezwang das unbändige Weib, so daß sie fortan ihrem Manne Unter¬
than war. Heimlich nahm Siegfried einen Ring und den Gürtel mit
hinweg und beschenkte damit sein Weib Kriemhild. Dann aber zogen
sie mit reichen Hochzeitsgaben heim nach Niedertand, wurden von den
alten Eltern mit Wonne empfangen und in die Herrschaft eingesetzt.
Ein Söhnlein wurde in Tanten — wie auch in Worms — geboren,
und das Glück des jungen Paares schien ohne Schatten.
6. lt>ic Siegfried und Arieinhild nint Feste nach
worin- ;ogcu und dieAöniginnen sich schalten. Brunhild
gedachte oft: „Wie hoch trägt doch Siegfried den Sinn, daß er in
zehn Jahren uns niemals Zins gebracht, wiewohl er unser Dienst¬
mann ist!" Endlich fragte sie ihren Mann, warum sich Siegfried
und Kriemhild niemals in Worms sehen ließen. Günther entschuldigte
seinen Schwager mit der Weite des Weges. Brnnhild aber sprach:
„Wie weit auch eines Königs Mann wohnt, und wie reich er ist, wenn
sein Herr ruft, muß er gehorchen. Wie gern möchte ich auch deine
liebe Schwester einmal wiedersehen!" Solche Reden und Bitten trieb
sie täglich. Da sandte endlich Günther herrliche Boten nach Nieder¬
land und lud das Paar zum Sonnenwendfeste nach Worms. Sieg¬
fried und Kriemhild sagten zu und beschenkten die Boten reichlich. Als
die Zeit gekommen war, da zog Siegfried mit seinem Weibe, seinem
Vater Siegmund, 1000 Rittern und vielen Schätzen nach Worms. Mit
Freuden und Ehren wurden sie empfangen, und ein Fest folgte dem andern.