Full text: Bilder aus Amerika (Bd. 1)

tausende spurlos vorüberrauschten, der die umgestaltende Menschenhand 
nirgends ein Zeichen ihres Waltens. viel weniger noch ihrer Herrschast 
aufzudrücken vermochte, die Seele des gebildeten Europäers! Wie die Be- 
trachtung gewaltiger, welterschütternder Ereignisse, denen Millionen von 
Menschenleben, vielleicht ganze Völker znm Opfer fallen, die niederschlagende 
Gewißheit in der Seele des denkenden Menschen erweckt, daß er nur ein 
verschwindendes Stänbchen im großen Weltganzen ist, kaum mehr als , ein 
Blütenblatt am Baume, das in Frühlingstagen fällt" — so drängt sich 
das Gefühl vollständigster Ohnmacht, gänzlicher Hilflosigkeit nnd Unbe- 
dentendheit inmitten dieser riesigen Welt in wahrhaft niederschmetternder 
Weise auf. Selbst der rohe Naturmensch fühlt, daß er hier ein Nichts, 
ein Spielball unheimlicher Gewalteu ist, die des mächtigsten Menschen- 
willens spotten und vor deren Wirküugeu die großartigsten Werke des 
Herrn der Erde zu armseliger Unbedeutendheit zusammenschrumpfen. 
Solches Denken und Fühlen muß in den hohen Cordilleren von 
selbst entstehen, sie liegen gewissermaßen in der Lust, denn der Charakter 
jenes Hochgebirges ist von demjenigen unserer europäischen Hochgebirge 
ganz wesentlich verschieden. Der Mensch fehlt in dieser entsetzlichen Öde 
völlig; dasür treten die Formen der Berge, die vollständig kahlen, nngehenren 
Felsenwände um so massiger auf. Wie ungeheure Schluchten klaffen die 
tiefeingerissenen Thäler dazwischen, nur spärlich vou dürftigen Pflanzen 
besiedelt und vielfach mit hinabgestürztem Steingetrümmer angefüllt Diese 
wild durcheinander geschleuderten formlosen Blöcke sind Spuren der unge- 
bändigten Naturgewalt, die in jenen nirgends von anmntigen Scenerieen 
unterbrochenen Einöden, den Wohnsitzen des Todes nnd Schreckens, herrscht. 
Unsere deutschen Alpen verdanken ihren wunderbaren Reiz vorzugsweise 
dem Charakter der Mannigfaltigkeit, der sich im Bau des Gebirges, in der 
Bewässerung, in der Tier- und Pflanzenwelt nnd namentlich anch in den 
belebenden Spureu der Menschenhand zeigt. Die Berge darin sind ver- 
schieden hoch, verschieden geformt, bald spitz, bald sanst abgerundet; bald 
bilden sie zusammenhängende Massen, bald sind sie vielfach gespalten nnd 
wunderlich zerrissen. In den meisten der breiteren Thäler finden sich 
rauschende Flüsse uud Bäche, die sich vielfach zu klaren, ruhigen Seen 
erweitern und ihren Ursprung nicht selten in kleinen Seebecken am Fuße 
der Gletscher habeu, die schimmernd in die Bergmassen eingebettet liegen. 
Die Bergwände sind häufig bis zur Grenze des ewigen Schnees hinauf 
mit Pflanzen bedeckt, die der Alpenlandschaft ein heiteres, freundliches Gepräge 
aufdrücken; in den tieferen Regionen finden sich stattliche Waldungen, die bald 
aus lichtgrünen Laubholzarten bestehen, bald ans tiefdunkeln Tannen und 
Fichten zusammengesetzt sind. Wie ganz, ganz anders die Cordilleren! Aus 
größerer Entfernung gesehen, ragen sie gleich einer ungeteilten, massigen 
Wand empor, nur hier und dort von einigen höheren Bergspitzen über- 
ragt. Betrachtet man die Teile dieses gigantischen Gebirgswalles in der 
Nähe, so fällt neben ihrer nngeheueru Ausdehnung eine seltsame, ermüdende 
Einförmigkeit in der Bildung auf, wodurch die Anden den Ausdruck der
	        
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