Full text: Heimatkultur in der Schule

Die Heimat in kindlicher Auffassung, 
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umsehen, da ergriff sie ein Kleines Händchen und sie verschwanden in der 
dichten Hosentasche eines pausbäckigen Dorfjungen, wo sie die Bekannt- 
schaft eines Hufnagels, eines abgebrochenen Taschenmessers, einer Pflaume, 
einer Walnuß und einer langen Strippe machten. „Davon wird eine Wage- 
schale gemacht," sagte er und verschwand um die Ecke hinter dem Garten- 
zäune. Der Großvater hatte es wohl gehört, er saß ja am Kammerfenster vor 
dem Schustertisch und hämmerte und pfiff: ,,Geh'n wir mal zu Hagenbeck, 
Hagenbeck, Hagenbeck!" Großvater war ein Schuhmacher. Und Schuh- 
macher schauen gern durchs Fenster. Da war er also immer dicht bei seinem 
Freunde. Ruch ein Lehrjunge von der Zunft Hans Sachsens saß am Tische. 
Der arme Vengel konnte den Stiefel nicht blank kriegen. Cr arbeitete, was 
er konnte; aber so ein neuer Stiefel ist eigensinnig, dem gefällt braun besser 
als schwarz. Wie sauber hier alles geordnet war,' jedes Stück lag oder stand 
an seinem Drt: die Pfriemen, die Holznägel, die Raspeln, die Feilen, die 
Glätten, die Messer, das Schabeglas usw. In der Mitte stand der Galgen, 
und an der Seite hingen neben Hans Sachs die blitzblanken Schusterkugeln 
bis oben gefüllt mit Brunnenwasser. Der Großvater nahm den Spann- 
riemen ab, legte den großen Klopfstein auf die Pritsche und öffnete das 
Fenster. 3m Kastanienbaum schmetterte ein Fink sein Pinkpink. Gar bald 
kam sein Frauchen um die Hausecke geflogen und stimmte mit ein. Sie 
nehmen Ebschied vom Großvater und von dem freundlichen Gasthaus zur 
braunen Kastanie. Bei der zweiten Strophe wurde dem Großvater weh- 
mütig ums herz, er fühlte, was die vöglein sagen wollten. ,,Sie werden 
sich schon wieder herfinden - es wird ihnen schon gut gehen," dachte er und 
nahm den Pechdraht auf, den er aus dem Fenster herunter auf die Erde 
geworfen hatte. 
Längst waren die Vögel weggeflogen, fort nach dem milden Süden, 
wo die Kinder keinen Schnee und kein Eis kennen. Dem Kastanienbaum 
hatte Frau Holle einen dichten, flockigen weißen pelz umgehängt. Klle 
Leute liefen, was sie konnten, die Schlote rauchten, die Schlitten klingelten — 
es war Winter. Km Kbende kamen die Spatzen und setzten sich einen kurzen 
Augenblick auf die bereiften Stangen, versteckten die Beinchen unter dem 
gefiederten Winterpelz und hockten und horkelten sich so breit, als wollten 
sie keine Wärme unter ihrem Überzieher hervorlassen, vormittags war der 
schwarze Mann dagewesen und hatte gebettelt. Dem hatte Großvater nichts 
gegeben' aber die Spatzen holten sich ihr Teil vom Hühnerfutter vom ihofe, 
wo Großmutter den Schnee fortgefegt und warmes Trinkwasser hingestellt 
hatte. 
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