82 A. Erzählende Prosa. V. Geschichtliche Darstellungen rc.
des Widerstrebens der Märker allmählich Anerkennung zu verschaffen
und hatte im Lande schon manchen Rückhalt gewonnen. Da erstand
ihm, geisterhaft, wie aus der Erde gewachsen, ein Feind, der alles in
Verwirrung brachte und ihm die Mark zu entreißen drohte. Seit einiger
Zeit ging nämlich ein Geraune durch das Land, Waldemar sei nicht
tot; um seine Schuld zu sühnen, sei er heimlich ausgezogen nach deni
heiligen Lande, jetzt aber kehre er zurück. Bald hieß es, er sei da.
Als Pilger gekleidet, wandere er durch das Land, aber von alten Leuten
sei er doch erkannt worden; er wollte sein Erbe, das in den Händen
der Bayern verkomme, wiedergewinnen. Dieses Gerücht fand Glauben;
denn die Leute dachten mit Sehnsucht an die Zeiten zurück, in welchen
die Anhaltiner das Land regierten. Das Geheimnisvolle, Rätselhafte
hat immer eine große Gewalt auf die Gemüter der Menschen. Es
steigerte die Spannung zur Aufregung. Waldemar war freilich vor
28 Jahren gestorben, so wenigstens hatte man allgemein geglaubt, aber
Ähnliches war doch schon vorgekommen. Vor gar nicht langer Zeit war
ein Herzog von Mecklenburg, den man längst tot geglaubt hatte, nach
26jähriger Abwesenheit aus der Gefangenschaft der Türken heimgekehrt.
Endlich gewann das Gerücht sicheren Boden. Bei dem Magdeburger Erz¬
bischöfe, so erzählt man, sei ein alter Pilger erschienen und von den
Dienern zuerst wegen seines armseligen Aussehens zurückgewiesen worden.
Aber an einem Ringe, den er dem Bischöfe überreichen ließ, habe dieser
mit Staunen das Wappen und den Namen Waldemars gesehen. Vor¬
gelassen, erklärte der Pilger, er sei Waldemar. Weil er eine Frau aus
zu naher Verwandtschaft geheiratet, habe er gegen die Satzungen der
Kirche gesündigt; der Papst habe ihm freilich Absolution erteilt, aber
die Buße auferlegt, daß er 28 Jahre im heiligen Lande weile, ohne daß
jemand davon wisse. Deshalb habe er die Leiche eines andern als die
seine beerdigen lassen, nachdem das Gerücht ausgesprengt war, er sei
gestorben; dann habe er heimlich das Land verlassen. Jetzt zurückgekehrt,
finde er dasselbe im Elende wieder. Er selbst wolle die Regierung nicht
wieder antreten, wolle aber seinen rechtmäßigen Erben zu ihrem Besitze
verhelfen. Der Bischof hatte freilich Waldemar nie gesehen; aber der
Pilger wußte ihm so viel aus der Vergangenheit zu erzählen, daß er
ihm glaubte. Auch die anhaltinischen Herren, der Herzog von Sachsen
und die Fürsten von Anhalt, erkannten den Fremden als ihren Ohm
und den wirklichen Waldemar an. Von andern Leuten, die ihn sahen
und sprachen, glaubten ihm die einen, die andern aber nicht. Aus
Haß gegen Ludwig fiel ihm aber der größte Teil der Geistlichkeit zu.
Als er in der Mark erschien, zog man ihm mit Kreuzen, Fahnen und
Lobgesüngen entgegen, um ihn feierlich in die Städte einzuholen. Überall
bestätigte der Pilger unter Waldemars Namen alle Rechte und Freiheiten
und erteilte mit freigebiger Hand neue. Daher wuchs sein Anhang