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wurde. Besonders zahlreich eilten die Scharen nach dem Blocksberg, um
in der Walpurgis-Nacht (1. Mai) feierliche Opfer und Tänze zu veranstalten.
Karl ließ zwar Wachen um den Berg stellen, aber diese liefen, wenn die
schlauen Heiden in den abenteuerlichsten Verkleidungen aus sie zu stanzten,
voll abergläubischer Furcht davon. Die völlige Aussöhnung der Sachsen, sagt
man, sei aus folgende Weise vermittelt worden. Herzog Wittekind, ihr
tapferer Führer, schlich sich, um Karl, seinen furchtbaren Gegner, einmal in
-der Nähe zu sehen, in Bettlertracht gehüllt, ins königliche' Lager an der Elbe
und drängte sich unter dem Bettlerhaufen an den König heran, als dieser
eben aus der Kirche kam. Der Blick seines Auges, die ganze _ stolze
Haltung und ein gekrümmter Finger an der einen Hand, die er ausstreckte,
machten Karl aufmerksam. „Du bist nicht der, der du scheinen willst," —
sprach er zu ihm. ■— „Ich bin ein Fürst wie du," antwortete unerschrocken
Wittekind, „ich bin der Herzog der Sachsen." — Diese Weise gefiel dem
großen Könige wohl. Er unterredete sich lange mit ihm über die Gebräuche
der christlichen Religion, die der Heide in der Kirche des Lagers gesehen, und
Wittekind erklärte sich bereit, die Tause zu empfangen.
Krieg mit den Longobarden." Einen andern Kampf führte Karl
gegen die Longobarden, welche den Papst Hadrian mit Krieg bedrohten. Er
überstieg mit feinem vortrefflichen Heere die beschneiten Alpen. Den Weg
über das Gebirge zeigte ihm nach einer alten Sage ein Spielmann. Zur Be¬
lohnung erhielt derselbe so viel Land, als man rings im Umkreis das Blasen
feines Hornes zu hören vermochte. — Nachdem Karl das Longobardenreich be¬
siegt hatte, vereinigte er es mit dem fränkischen.
Kampf mit den Mauren in Spanien. Karl führte auch Krieg mit
den Mauren in Spanien, und es gelang ihm, das Reich durch Eroberung der
spanischen Mark bis an den Ebro hin zu erweitern. Der Nachtrab seines
Heeres, von seinem Neffen, dem wegen seiner wunderbaren Stärke viel be¬
sungenen Roland geführt, fiel in einem Hinterhalt im Thal Roncesvalles
(rondfeswaljes). „Die Roneesvalfchlacht," eines der herrlichsten Helden¬
gedichte des Mittelalters, schildert diesen Untergang.
Karl wird römischer Kaiser. Papst Leo wurde durch eiueu Aus¬
ruhr in Rom zur Flucht genötigt. Er kam zu Karl uud bat um Hilfe. Dieser
führte ihn wieder zurück und züchtigte die Aufrührer. Als darauf (im Jahre
800) Kaiser Karl am Weihnachtsfeste in Rom war und in der Peterskirche
fein Gebet verrichtete, wurde er plötzlich unter dem Zujauchzen des Volkes
vom Papste znm Kaiser gekrönt.
Karls Ende. Karls Lieblingssitze waren Aachen (in der Rheinprovinz)
und Ingelheim (im Großherzogtum Hessen). Als Karl die Abnahme feiner
Kräfte fühlte, berief er eine große Versammlung nach Aachen. Nachdem hier die
Großen des Reiches ermahnt worden, feinem Sohne Ludwig treu zu bleiben,
ging man in die Kirche, wo eine goldene Krone auf dem Altar lag. Als
Karl fein Gebet verrichtet, ermahnte er seinen Sohn, Gott zu fürchten
und zu lieben, für die Kirche zu sorgen, fein Volk zu lieben, getreue und
gottesfürchtige Beamte anzustellen. „Willst du das alles erfüllen, mein lieber
Sohn?" fragte zuletzt der gerührte Greis. Ludwig versprach es mit Thränen.
■— „Nun wohl, so setze dir selbst die Krone aus." — Ludwig that es unter
lautem Weinen und Rusen des Volkes: „Das ist Gottes Wille!" •— Bald dar¬
nach starb Karl ruhig und gesaßt, mit aus der Brust gefalteten Händen und
den Worten: „Herr, in deine Hände befehle ich meinen Geist!"
9. Ludwig der Fromme. 814—840.
Eigenschaften. Ludwig, Karls des Großen Sohn und Nachfolger, führte
den Beinamen „der Fromme". Er war von sanfter Gemütsart und zum Ver-