Full text: Die vorchristliche Zeit (Bd. 1)

und der Unterwerfung Italiens. 389 
die Umwälzung erregt wurden, zu beschwören und unter fortwährendem 
Kampfe mit Nachbarvölkern auf dem Boden der nun wieder in Kraft 
tretenden Servianischen Verfassung die erst von ferne vorbereitete 
Rechtsgleichheit zu erstreben, eine Aufgabe, deren Lösung 144 Jahre in 
Anspruch nahm. 
9. Die Seele der vollbrachten Umwälzung war Lucius Junius 
Brutus gewesen. Ihn soll einstens, von Träumen und Wahrzeichen 
geängstigt, Tarquinius seinen beiden ältesten Söhnen auf einer Reise 
zur Befragung des delphischen Orakels als Begleiter mitgegeben haben, 
wo die Sage ihm einen besonderen, auf künftige Herrschaft in Rom 
hindeutenden Spruch zu Theil werden läßt. Er soll auch ein Gegen¬ 
stand von Besorgnissen für den König gewesen sein, aber dessen Ver¬ 
dacht dadurch, daß er sich blödsinnig stellte, abgelenkt haben. Diese 
Angabe ist wohl nur aus der Bedeutung des Wortes Brutus entsprun¬ 
gen. Gegen sie spricht auch ein Umstand, der die von Brutus bei 
der Empörung gespielte Rolle erklärt. Er war der Tribun der Celeres. 
Celeres aber hießen sowohl die Patricier überhaupt, als die aus ihnen 
gebildeten Ritterabtheilungen. Ist es nun wahrscheinlich, daß jede der 
drei alten Tribus einen Tribun hatte, so läßt sich, wo einer als Tribun 
der Celeres genannt wird, derselbe als der Tribun der ersten und an¬ 
gesehensten Tribus denken. In einer solchen Stellung war Brutus in 
Abwesenheit des Königs die höchste Obrigkeit und es erscheint als na¬ 
türlich, daß er die Curien beruft und dem von Ardea herbeieilenden 
Könige die Thore sperrt. Er ist es auch, unter dessen Leitung die Ein¬ 
richtung der neuen Verfassung vor sich geht. Die Gewalt, welche die 
Könige besessen, wurde getheilt. Die von ihnen ausgeübten priester- 
lichen Verrichtungen gingen auf einen Opferkönig über, der ohne Ein¬ 
fluß auf bürgerliche Verhältnisse sein Amt lebenslänglich bekleidete und 
entweder aus Wahl der Curien oder aus Ernennung des Vorstehers 
des priesterlichen Collegiums der Pontifices hervorging. Die bürger¬ 
liche Gewalt aber erhielten zwei jährlich von den Centuriatcomitien aus 
den Patriciern zu wählende Prätoren, welchen durch Bestätigung Sei¬ 
tens der Curien das Imperium, der Inbegriff feldherrlicher und richter¬ 
licher Befugnisse mit dem Rechte der Vollziehung, übertragen wurde. 
Sie erhielten als Zeichen ihrer Macht und Würde das Amtskleid der 
Toga Präterta, einen elfenbeinernen Stab und eine Begleitung von 
zwölf Lictoren, welche Ruthenbündel mit Beilen trugen. Ihnen war, 
sobald sie als Feldherrn auftraten, die gesammte Bürgerschaft unbedingt 
unterworfen, aber die eigentliche Rechtspflege übten sie nur den Plebe¬ 
jern gegenüber in ihrem ganzen Umfange, während für Verbrechen der 
Patricier die Curiatcomitien das Gericht bildeten. Sie verfügten hin¬ 
sichtlich der Kriegsbedürfnisse über den Staatsschatz durch die von ihnen
	        
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