Full text: Die Geschichte der neuern Zeit (Bd. 3)

794 ]17. Napoleones Rückkehr und die letzte Coalition gegen ihn, 1815. 
mit den süddeutschen Contingenten, in der Stärke von 230,000 Mann 
und unter Schwarzenberg's Oberbefehl, bildeten den linken Flügel am 
Oberrheine. Die Russen, unter Barclay, an Zahl mindestens 150,000 
Mann, befanden sich noch auf dem Marsche nach dem Mittelrheine, um 
als das Centrum der großen Angriffslinie bei Mainz und Mannheim 
den Strom zu überschreiten. Den rechten Flügel bildeten zwei Heere, 
die sich von der unteren Mosel durch Belgien bis gegen die Nordsee 
hin ausbreiteten: ein britisches, über 100,000 Mann, unter Welling- 
ton's Commando, und ein preußisches unter Blücher, das 130,000 
Mann zählen sollte. Der rechte Flügel allein hat den Krieg ausge- 
fochten, ohne daß die 400,000 Mann, die sich von Mainz bis Frek- 
burg sammelten, zur Entscheidung selber mitgewirkt haben. 
Am Jahrestage der Schlachten bei Marengo und Friedland, 14. Juni, 
zeigte Napoleon seinem Heere durch einen Tagesbefehl die bevorstehende 
Eröffnung des Feldzuges an, und am nächsten Tage ward jener denkwür- 
dige Feldzug eröffnet, der zwar nur 3 Tage dauerte, allein dennoch das 
Geschick Europa's bestimmte und entschied. Napoleon warf sich mit 
seiner Hauptmacht auf die Vorhut des preußischen Heeres und drängte 
sie in Folge der Gefechte bei Charleroi und Gosselies zurück. Dann 
griff er das noch immer nicht ganz vereinte preußische Heer unter 
Blücher bei Ligny an (16. Juni). Er beabsichtigte nämlich, eine 
gänzliche Trennung des preußischen Heeres von dem englischen dadurch 
zu bewirken, daß er jenes über den Rhein und dieses nach Holland 
zurückzudräugen gedachte. Zu dem Ende hatte er den Marschall Ney 
mit 30—40,000 Mann entsendet, um gerade nach Brüssel vorzudringen. 
Aber dieser Marschall ließ sich bei Quatrebras von einer schwächeren 
Abtheilung der Verbündeten unter dem Befehle des Prinzen von Oranien 
aufhalten. Er beharrte ungeachtet der wiederholten Aufforderungen Na- 
poleon's, vorzudringen, bei seiner vorgefaßten Meinung, daß dies un¬ 
ausführbar sei, weil er das ganze englische Heer vor sich habe. Als 
nun Napoleon das preußische Heer bei Ligny angriff, befahl er dem 
Marschall Ney, es bei St. Amand auf seinem rechten Flügel zu um¬ 
gehen und dadurch von dem englischen Heere zu trennen. Doch Ney 
befolgte wieder nicht diese Weisung, indem er fortwährend versicherte, 
daß er seine Stellung nicht verlassen könne, weil er das ganze englische 
Heer vor sich habe. Nur die Abtheilung des Generals Erlon ließ er 
abrücken, allein auch sofort zurylckberufen. Endlich schickte Napoleon 
dem General Erlon unmittelbar den Befehl, die Bewegung gegen St. 
Amand auszuführen, dem dieser auch Folge leistete; allein er kam zu 
spät, weil er durch unnützes Hin- und Hermarschiren Zeit verloren hatte. 
Napoleon hatte inzwischen die Schlacht, seiner gewohnten Art nach, da¬ 
durch entschieden, daß er den Mittelpunkt des preußischen Heeres durch 
Eroberung des Dorfes Ligny sprengte. So war zwar das preußische 
Heer geschlagen, aber nicht zersprengt, und noch viel weniger vernichtet. 
Es zog sich mit Ordnung zurück. — Napoleon, der noch immer bei 
seinem Plane, die beiden Heere von einander zu trennen, beharrte,
	        
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