Full text: Die Geschichte des Alterthums (Bd. 1)

62. Die Umgestaltung der Verfassungen; die Tyrannis. 223 
Besitz der Waffen und Burgen, die höhere Einsicht und der Besitz aller 
der Kenntnisse, welche sich auf die Geschichte, das Recht und die Reli¬ 
gion des Landes bezogen, endlich ihre Verbindungen mit anderen Staa¬ 
ten und ihr festes Zusammenhalten. Der Oligarchie waren vorzugsweise 
diejenigen Gegenden günstig, in welchen Ackerbau die Hauptbeschäftigung 
war, und dieser den gemeinen Mann an seine Hufe fesselte und in ein¬ 
zelnen Gehöften über das Land zerstreute. Dagegen entstanden da bald 
Kämpfe zwischen dem Volke und den Oligarchen, wo die Unfruchtbar¬ 
keit des Bodens oder die vortheilhaftc Lage des Landes zur Gewcrbs- 
thätigkeit, zum Handel und zur Schifffahrt reizte, wo sich ein Markt 
und eine Stadt als Mittelpunkt des Verkehrs bildete, in welcher der 
brodlose Haufe zusammcnströmte. 
Verschieden waren die Ursachen, welche den Sturz der Oligarchiccn 
herbeiführten. Bisweilen schwächte ein gefährlicher Krieg die herrschen¬ 
den Geschlechter und nöthigte sie, das Volk zu bewaffnen und dessen 
Beistand durch Zugeständnisse zu erkaufen. Verderblicher wurde den 
Oligarchen eigener sittlicher Verfall, welcher sich häufig auch in über¬ 
mäßigem Drucke des Volkes kundgab. Gewöhnlich trat ein Mann aus 
den herrschenden Familien, welcher verarmt war, oder von Ehrgeiz ge¬ 
trieben wurde, an die Spitze des zur Verzweiflung getriebenen Volkes; 
seltener erstand dem Volke aus seiner eigenen Mitte ein Führer, wel¬ 
cher hinlänglichen Einfluß und Talent zur Leitung besaß. Das Volk 
pflegte zunächst Ackervertheilung, Schuldenerlaß, das Recht zu rechts¬ 
gültigen Ehen mit den Gliedern der herrschenden Familien und Rechts¬ 
gleichheit zu erzwingen und überließ die Rcgierungsgewalt gewöhnlich 
dem Manne, welcher sich an seine Spitze gestellt und ihm zum Siege über 
die Oligarchen vcrholfen hatte. Der frühere Volksführer wurde nun 
der Tyrann des Staates. Tyrann hieß bei den Griechen der gegen 
die bestehenden Gesetze und ohne Wahl der Bürger zur Regierung ge¬ 
langte Herrscher, ohne daß man mit dem Worte den Begriff der Ge- 
waltthätigkcit und Grausamkeit verband. Der Tyrann befestigte seine 
unumschränkte Herrschaft, indem er sich der Burg und des öffentlichen 
Schatzes bemächtigte, und sich eine ihm ergebene Leibwache hielt. Der 
Druck des Tyrannen richtete sich zunächst nur gegen die reichen und 
angesehenen Familien. Im siebenten und sechsten Jahrhundert v. Ehr. 
hatten sich in den meisten griechischen Staaten Tyrannen aufgeworfen, 
sie suchten ihre angemaßte Herrschaft durch gegenseitige Bündnisse, Ver¬ 
schwägerung und Gastfreundschaft zu stützen. Auch mit auswärtigen 
Königen suchten sie sich zu befreunden und waren selbst der Einführung 
orientalischer Sitten nicht abgeneigt. Sie wetteiferten in Glanz und 
Prunk mit den Barbaren, besonders in Bauten, Wcihgcschenken und 
Kunstwerken. Auf diese Weise schwächten sie thcils durch Steuern und 
Erpressungen das Volk, theils beschäftigten und nährten sie den müßi¬ 
gen Hansen. Ihre Prachtliebe, verbunden mit der erzwungenen Ruhe, 
war eine treffliche Pflegerin der Wissenschaft und Kunst; Dichter, 
Künstler, Gelehrte waren die Zierden ihres Hofstaates. Die Zeit der
	        
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