Full text: Lehr- und Lesebuch oder die Vaterlands- und Weltkunde

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darin als Gehülfen in der Regierung Herzöge, Burg- oder Mark¬ 
grafen angestellt, welche ihm Berichte einsenden mußten und Befehle 
von ihm erhielten. Hatte er so einen Befehl mit seinem Degenknopf 
untersiegelt, so pflegte er zu sagen: „Hier ist mein Befehl, und hier 
— indem er an das Schwert schüttelte, isHder, welcher ihm Gehor¬ 
sam verschaffen soll." 
Im Jahre 800 wurde Karl der Große als Schirmherr der Kirche 
vom Papste gegen dessen Feinde um Hülfe angerufen; er leistete diese, 
indem er selbst nach Italien zog. Da geschah es, daß — als er am 
Weihnachtstage in der Peterskirche, angethan mit einem langen Pur¬ 
purmantel, mit allem Volke die Geburt des Heilandes feierte und an¬ 
dächtig in seinem Befftuhl kniete — der Papst Leo HI. auf einmal 
zu ihm trat, ihm eine mächtige Krone aus das Haupt setzte und ihn 
unter dem Jubelrufe des Volkes zum römischen Kaiser krönte. 
Von jener Zeit an führten seine Nachfolger in Deutschland diesen Titel. 
Eine feste Residenz hatte Karl nicht; er wohnte da, wo seine Ge¬ 
genwart am nöthigsten war — am liebsten aber hielt er sich zu Aachen 
auf, wo er auch begraben ist. Er starb am 28. Januar 814 in einem 
Alter von 72 Jahren. Sein Leichnam wurde in einer Gruft im Dome 
zu Aachen, aufrecht auf vergoldetem Stuhle sitzend, im vollen kaiserli¬ 
chen Ornat, mit einem Evangelienbuch auf dein Schooße und einer 
goldenen Pilgertasche um die Hüfte, bestattet und in dieser Stellung 
1165 so gefunden, wo man ihn erst in ein prächtiges Grabmal legte, 
die Kleinodien jedoch: Schwert, Krone, Reichsapfel und Panzer zurück¬ 
behielt, um sie fortan bei jeder Krönung eines römisch-deutschen Kaisers 
zu gebrauchen. Nach dem Tode Karls wurde das große fränkische Reich 
getheilt in: Frankreich, Italien und Deutschland. Mit der 
deutschen Königswürde blieb aber die römische K a i s e r w ür d e ver¬ 
bunden, bis im Jahre 1806 Kaiser Franz II. von Österreich sie 
wieder ablegte. 
10. Klein Noland. 
Frau Bertha saß in der Felsenklust 
Sie klagt ihr bittres Loos; 
Klein Roland spielt in freier Luft, 
Deß Klage war nicht groß. 
„O König Karl, mein Bruder hehr! 
O, daß ich floh von dir! 
Um Liebe ließ ich Prackit und Ehr', 
Nun zürnst du schrecklich mir; 
O Milon, mein Gemahl, so süß! 
Die Fluth verschlang mir dich, 
Die ich um Liebe alles ließ, 
Nun läßt die Liebe mich. 
Klein Roland, du mein theures Kind, 
Nun Ehr' und Liebe mir; 
Klein Roland, komm herein geschwind! 
Mein Trost kömmt all' von dir. 
Klein Roland, geh' zur Stadt hinab, 
Zu bitten um Speis' und Trank; 
Und wer dir giebt eine kleine Gab' 
Dem wünsche Gottes Dank!" 
Der König Karl zur Tafel saß, 
Im goldnen Rittersaal; 
Die Diener liefen ohn' Unterlaß 
Mit Schüsseln und Pokal. 
Von Flöten, Saitenspiel, Gesang 
Ward jedes Herz erfreut, 
Doch reichte nicht der helle Klang 
Zu Bertha's Einsamkeit.
	        
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