- 117 —
Um dieselbe Zeit bestieg Karl XII, ein Fürst von fast un¬
erhörter Willenskraft, aber auch eben so großem Starrsinne, den
schwedischen Thron. Da der junge König erst 15 Jahre alt
war. glaubten die benachbarten Herrscher von Dänemark,
Polen und Rußland, mit Leichtigkeit auf Kosten des nordischen
Reiches Eroberungen machen zu können. Besonders trachtete Zar
Peter der Große nach dem Besitze der schwedischen Provinzen
Livland, Esthland und Jngermanland, um freien Verkehr zur See
zu gewinnen und dadurch den inneren unb äußeren Aufschwung
seiner Staaten zu befördern. 1699 traten die genannten Mächte
mit einander in ein Bündnis, unb die Dänen fielen in das den
Schweden befreundete Schleswig-Holstein, die Polen in Livland
und die Russen in Jngermanland ein. Doch man sollte bald
inne werden, wie sehr man sich in dem kaum erwachsenen Karl
getäuscht, der trotz seiner Jugendlichkeit alle Eigenschaften eines
fertigen Kriegsfürsten besaß. Gefahren, vor denen entschlossene
Männer zurückbebten, waren seine Lust, die Anstrengungen und
Beschwerden eines Feldzuges galten ihm für Genüsse, den Winter
verbrachte er in einer strohgeflochtenen Hütte auf hartem Lager
und ohne alle sonstige Bequemlichkeit, und mit feinen Soldaten
teilte er den letzten Bissen Brot unb den letzten Tropfen aus der
Flasche. Während feine Räte nicht wußten, wie dem drohenden
Sturme zu begegnen fei, stellte sich Karl an die Spitze feines
Heeres, fetzte nach Seelaud über und bombardierte Kopen¬
hagen. Als ihm hier die ersten Kugeln um das Haupt schwirrten
und er bie Ursache bes seltsamen Pfeifens vernahm, rief er fröh¬
lich ^ aus: „Das soll künftig meine Musik fein!" Der Dänen¬
könig hatte sich eines solchen Angriffes nicht versehen, und da er
feine Hauptstadt nicht der Zerstörung preisgeben wollte, schloß
er schnell mit dem Gegner Frieden. Nun wandte sich der junge
Held nach Livland und Esthland, suchte mit feinen 8000 Mann
bie 40000 Mann starken Russen bei Narwa auf unb brachte
ihnen nach zweistündigem Kampfe eine furchtbare Nieberlage bei.
So schrecklich diese auch war, Zar Peter verlor ben Mut nicht.
"Ich weiß Wohl", sagte er, „bie Schweben werben uns noch oft
schlagen, aber mit ber Zeit werben wir bas Siegen von ihnen
lernen unb sie wieder schlagen." Zwei Feinbe hatte Karl über-
wunben, jetzt sollte bie Reihe an ben britten kommen, an August
den Starken, König von Polen und Kurfürsten von Sachsen.
In raschem Siegeszuge drang er nach Warschau vor, ließ einen
polnischen Edelmann, Stanislaus Lesezinsky, zum Könige
wählen und rückte dann in Sachsen ein, wo er August durch den
fyrieften von Altranstädt nötigte, auf die Krone Polens zu
verzichten.
Während Karl XII im Westen beschäftigt war, erholte sich