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Westindi en.
Lichte lesen kann. Eben so ist es mit der Sonne, daher kann
man entfernte Gegenstände mit bloßen Augen sehr deutlich erken¬
nen?' Es giebt hier eine trockene und eine regnerische Jahres¬
zeit; die Warme der Luft ist in beiden ziemlich gleich. Auch
muß man nicht glauben, daß es in jener niemals, und in dieser
beständig regne. Im August und September ist es am heiße¬
sten; vergebens sieht man sich da nach Kühlung um. Aber nun
kündigt alles den Anfang der Regenzeit an. „Wolken steigen
empor, ziehen sich zusammen, und thürmen sich in ungeheuren
Massen auf. Die Berge bleiben indessen noch unbedeckt; die
Gegenstände zeigen einen bläulichen Schein, und erscheinen dem
Auge näher als gewöhnlich. Endlich verbirgt jene stets wach¬
sende Dunstmasse auch das höhere Gebirge, und kündigt sich durch
dnmpfrollenden Donner an. Dieser hallt im Gebirge wider, und
selbst das Meer giebt ihn mit lautem Echo zurück. Die ganze
Größe der furchtbar schönen Natur zeigt sich aber des Nachts in
den tausendfach sich durchkreuzenden Wetterstrahlen. Nun ent¬
laden sich die Wolken durch gewaltige Regengüsse. Sie fallen
in Strömen wie wahre Sündfluthen, die Flüsse schwellen augen¬
blicklich an, und das ganze flache Land ist unter Wasser gesetzt.
Wer in diesen Erdstrichen nie war, kann sich keinen Begriff ven
der Menge des Wassers machen, welches in dieser Jahreszeit
herabstürzt. Die Feuchtigkeit der Luft ist dann so groß, daß
binnen vier Tagen ein todter Ochse oder ein Pferd in der freien
Luft verfault, und von Tausenden von Würmern und Insekten
verzehrt wird. Das Fleisch verdirbt, wenn man es nur länger
als 24 Stunden aufhebt, die Früchte verfaulen, das Brot ver¬
schimmelt, wenn es nicht als Zwieback gebacken wird, und selbst
das Räderwerk genau verschlossener Uhren rostet in der Tasche."
Anfangs December vertreibt der sich wendende Wind die Dünste
und Wolken schnell; es wird wieder heiter, und nun tritt die
trockene Jahreszeit wieder ein. — Mit den Regengüssen verei¬
nigen sich nicht selten Orkane, welche mit einer unbeschreiblichen
Gewalt wüthen, und eine wahre Geißel Westindiens sind. Der
Wind bläst dann aus allen Weltgegenden, entwurzelt die älte¬
sten und stärksten Bäume, deckt nicht nur Dächer ab, sondern
wirft ganze Gebäude in einem Augenblick über den Haufen, und
es scheint dann, als wenn der Orkan den Regen aus der See
heraushebe, und in Wolken auf das Land schleudere; die Tro¬
pfen, von der Größe der Taubeneier, fahren mit Gewalt durch
die Luft, und erregen aus der Haut einen empfindlichen Schmerz.
„Das Rauschen des Wassers und der Wälder, das Getöse des
Donners und der Winde, welche zusammenstoßen und sich an
den Felsen brechen, die oft damit verbundenen Erdbeben, das
vermischte Schreien und Heulen von Menschen und Thieren mc-