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Schwerz.
Länge vom Inn durchströmt, der auch hier seine Quellen hat, ist
selten breiter als Stunde, ja an manchen Stellen so eng, daß
der Inn fast die ganze Thalbreite einnimmt. Nördlich begränzt
es die große Centralkette der Alpen; südlich die Kette des Ber¬
nina; östlich trennt die Bergschlucht Finsiermünz und die Mar¬
tinsbrücke es von Tyrol, westlich der Berg Maloja oder Ma¬
lo ggia von dem Bergell-oder Bregagliathale. Die hier erwähn¬
te Berninakette, über welche ein sehr gebrauchter Felsen-
und Saumpfad aus dem Engadin nach Italien führt, auf wel¬
chem Wege der ungeheure Berninagletscher sehenswerth ist, zieht
sich in einer Lange von 16 Stunden zwischen dem Bergeller und
Oberengadinthale und dem Veltlin, und ist eine noch wenig be¬
reiste und erforschte Gebirgsmasse voll kühner Felsenhörner und
dazwischen liegender wilder mit Eis und Felsentrümmern angefüll¬
ter Thaler, deren höchste Spitze der im Hintergründe des Malen-
kerthales sich erhebende noch ungemesiene Mont« dell Oro ist.
Das Engadin theilt sich in das Ober- und Unter-Engadin,
wovon jenes 7 Stunden und dieses 11 Stunden lang ist, jenes
sich vom Maloja bis zum Scaletta und Easanna, dieses von
da bis zur Martinsbrücke erstreckt. Das Oberengadin ist eins der
höchsten Alpenthäler (der höchste Ort Sils oder Selgio liegt
5600 F. über dem Meere), und zeichnet sich durch große erhabene
Naturschönheiten, so wie durch manche Eigenheiten der klimatischen
Verhältnisse aus. Von den Hochgebirgen, besonders von der an
der Südseite fortlaufenden Berninakette starren eine Menge Glet¬
scher herab; fast 9 Monate ist es Winter, noch im Sommer fallt
oft Schnee, und man kann daher kaum 3 Monate ohne Feuerung
seyn; selbst im Sommer ist die Luft kalt und schneidend und es
reift die Nachte oft stark. Dabei ist das Wetter sehr veränderlich
und fast jede einzelne Gegend hat nach den Luftzügen, denen sie
ausgesetzt ist, ein andres Klima. Im Ganzen ist die Luft sehr
leicht und so trocken, daß Fleisch anstatt im Rauch an der Luft ge¬
dörrt wird. Etwas wärmer ist das Klima in dem Unterengadin.
Das ganze Engadin wird von 10,000 Menschen bewohnt, einem
fleißigen, schönen, gesitteten und wohlhabenden Volke, welches
die Romanische Sprache (hier Lad in genannt) redet und haupt¬
sächlich von der Viehzucht lebt. Auch wandert ein Theil der männ¬
lichen Bevölkerung jährlich aus und durchzieht als Kaffeewirthe,
Pasteten- und Zuckerbäcker oder Likörfabrikanten ganz Europa,
um sich eine Summe Geld zu verdienen, und sich dadurch in den
Stand zu setzen, in ihrem Vaterlande das Alter sorgenfrei zu ver¬
leben.