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Selbst auf den Kirchhöfen liegen die Todten oft auffallend weit auseinander gebettet.
Die Ackerfurchen sind auffallend breit und tief gezogen, die Pflanzen meist weit¬
schichtig gesetzt. In den Wäldern sieht man mehrentheils die gefällten Bäume einen
oder mehrere Fuß über der Wurzel abgesägt, während dieser Stumpf mit der
Wurzel im Boden stecken bleibt und häufig genug unbenutzt verwittert. Die Flüsse
haben selten ein geregeltes Bett, sie laufen fast überall in zahlreiche Abzweigungen
und Seitenarme auseinander, und nehmen mit nutzlosen Jnselchen, kleinen Sümpfen,
Sand- und Geröllböden dreimal mehr Platz ein, als ihnen von Rechtswegen
gebührte. Gerade so ist es mit den Wegen. Diese ungeregelten wilden Pfade
fressen unglaubliche Strecken Landes weg.
An den norddeutschen Meeresküsten zeigt man oft kleine Strecken des Küsten¬
sandes, die ganz roth gefärbt sind von zermalmten, aus dem Meeresgrunde ausge¬
spülten Ziegelsteinen. Es sind die Stätten, wo ganze Dörfer vor Jahrhunderten
vom Meere verschlungen wurden. So sieht inan auf den baierischen Flächen mit¬
unter Hügel, deren Köpfe ganz roth gefärbt sind von einer förmlichen Saat zer¬
bröckelter Backsteine. Es sind alte Burgstetten, und das rothe Gewölbe ist das
einzige Monument versunkener Macht und Herrlichkeit. — In ihrer Massenhaftig-
keit sind diese Hochflächen schön, wie die flachen Meeresküsten in ihrer Massen-
haftigkeit.
'Der Lech theilt nicht blos-Siidbaiern in 2 Hauptgruppen, sondern alle südlich
der Donau gelegenen deutschen Gaue in eine schwäbische und eine baierisch-österrei-
chische Hälfte.
Zur Zeit oes 18. Jahrhunderts zeigt die schwäbische Seite — zwischen Iller
und Lech — ein buntes Gewirr von allerlei Herrschaften, während mit dem rechten
Lechufer diese bunten Lappen wie abgeschnitten aufhören. Wie scharf die Lcchlinie
sich auch als Grenze der beiden Mundarten bewährt, zeigt sich auch darin, daß auf
dem linken Lechufer an drei Viertel der Ortsnamen auf die Schlußbildung „ingen"
ausgehen, während ostwärts vom Lech kein „ingen" mehr aufzuspüren ist und diese
Form sich in „ing" verwandelt hat. Wie „ingen" durch Würtemberg und Baden
nach dem Elsaß, so läuft „ing", obwohl sparsamer, durch das ganze südlich der
Donau gelegene Oesterreich fort bis zur ungarischen Grenze. Heute noch hat der
Lech auffallend wenig Brücken, und der Ortsverkehr zwischen beiden Ufern ist
erstaunlich gering. Die nächste Brücke oberhalb der Augsburger ist 6 baierische
Stunden von dieser Stadt entfernt bei dem Dorfe Lechfeld. Aeußerst wenig Dörfer
liegen unmittelbar am Uferrande des Lech; die meisten sind bis auf eine Stunde
Weges landeinwärts geschoben, dagegen sieht man vielfach die verwachsenen Reste
alter Wälle, Schanzen und Gräben am Wassersaume. — Ebenso ist die Volkstracht
auf beiden Seiten des Lechs verschieden; das rechte Lechufer trägt den Rock des 17.,
das linke den des 18. Jahrhunderts. Dort hohe spitze Hüte, kurze Wämser und
lange faltige Lederstiefel bei den Männern, und die über die Schultern emporge¬
drückten, ausgepolsterten Schinkenärmel der Frauen, — hier das kleine runde Hüt¬
chen oder der Dreimaster der Zopfzeit, lange Oberröcke mit stehendem Kragen, kurze
Hosen mit Schnallenschuhen und Zwickelstrümpfen, oder auch kurze Hosen mit
Schnallenschuhen und — keine Strümpfe.
In Altbaiern ist das Volksleben abgeschlossener, minder beweglich; die geistigen
Kämpfe des 18. Jahrhunderts sind für Altbaiern kaum vorhanden gewesen. Das
19. Jahrhundert setzte hier gleichsam unvermittelt an das 17. an; das 18. war nur
eine wiederholte Auflage des 17. gewesen. So ist Altbaiern an der Hand seiner
geistlichen Führer um das 18. Jahrhundert herumgekommen.
Auf dem rechten Lechufer sind bis zur Donau hinab buntbemalte Todtenbretter
an allen Straßen aufgestellt, und überall prangt noch in den Dörfern der altbaie-
rische Kirmesbaum. Auf der linken Lechseite ist nichts dergleichen zu finden. Beide
Erscheinungen bekunden den Sinn der altbaierischen Bauern für Monumente. Ist
Jemand gestorben, so wird ein Brett von Mannshöhe bunt bemalt mit den Sinn¬
bildern des Todes, die Leiche wird eine Weile auf das Brett gelegt und dasselbe
nachher mit einer Inschrift versehen, die gewöhnlich anhebt: „Auf diesem Brett ist
todt gelegen der ehrengeachtete N. N." Diese Bretter werden an Feldwegen, Cru¬
cifixen und Heiligenhäuschen, an einem Acker der Verstorbenen, oder auch an seinem
Lieblingsplatze auf dem Felde aufgestellt. Diese Uranfänge monumentaler Kunst
könnten eben so gut auf einer Südseeinsel landesüblich sein, als in Altbaiern; so
ragt das graue Alterthum hier in unsere civilisirte Welt hinein. Der Kirmesbaum
ist das Monument der Lebenden. Statt der Zweige sind breite Brettchen sprossenartig