Full text: Der deutsche Kinderfreund

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II. Erzählungen 
schichten konnte. Sie bat, daß man ihr'die Arbeit über¬ 
tragen möchte, und versprach, recht emsig dabei zu seyn. 
Nach vier sauren Stunden hatte sie wirklich so viel ver¬ 
dient, daß sie für ihre Mutter ein wenig Wein kaufen 
konnte. Obgleich sie von der ungewohnten Arbeit sehr 
crmüdetwar, so lief sie doch so schnell, als ob sie heute 
noch gar nicht gearbeitet hatte. Unbeschreiblich groß war 
ihre Freude darüber, daß sie durch ihrer Hände Arbeit 
der guten Mutter diese Erquickung hatte verschaffen kön¬ 
nen. Die Mutter war so gerührt über Mariens kind¬ 
liche Liebe, daß sie Freudenthränen vergoß. Wenn doch 
alle Kinder so gesümer wären, wie die gute Marie! 
20. Der ungegründete Verdacht. 
3)em Kaufmann Müller waren seit einiger Zeit ver¬ 
schiedene Flaschen mit Wein aus dem Keller gestohlen 
worden, und er konnte nicht herausbringen, wer wohl 
der Dieb seyn möchte. Eines Tages kam sein Sohn 
Ferdinand gauz außer Arhern zu Hause und erzählte, 
nun wiffe er ganz gewiß, wer die Flaschen aus dem 
Keller geholt hatte. Nun, wer denn? fragte der Vater 
begierig. Kein Anderer, sagte Ferdinand, als der kleine 
Ewald; denn ich habe ihn eben mit zwei Flaschen sehr 
ängstlich aus dem Keller schleichen sehen. Der kleine 
'Ewald war in dem Hause des Herrn Müller bisher vul 
aus-und eingegangen, und harre, als ein armes Kind, 
manche Wohlthaten in diesem Hause genossen. Mau 
hielt viel auf den kleinen muntern Knaben, und hatte 
ihn bisher den chrlichen Ewald genannt. Daher war 
Herr Müller nicht wenig erstaunt, als erhörte, daß Ewald 
ihn bestehle, und wollte es durchaus nicht glauben; aber 
Ferdinand wußte cs so wahrscheinlich zu machen, daß 
ihm am.Ende doch das Betragen Ewalds verdächtig vor¬ 
kommen mußte. Er ließ also den Knaben rufen, und 
als er erschien, sah er ihn eine Weile ernsthaft an. Hast 
du ein gutes Gewissen? fragte er ihn dann. Bei dieser 
Frage schien Ewald verlegen zu werden, und errötbete; 
antworte ehrlich auf diese Frage, fuhr Herr Müller fort. 
Ich weiß nicht, sagte der Kleine stammelnd, was ich 
Böses gethan habe. Dein Errdthen verräth dich, erwie¬ 
derte Herr Müller mit Unwillen, und sah in dabei sin-
	        
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