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keineswegs die stärkste Bevölkerung (730000). Denn nur ein
kleiner Theil Kurhessens ist so eben und so fruchtbar wie das
Mainthal bei Hanau oder das Fuldathal bei Kassel. Grosse Stre¬
cken sind waldig und zum einträglichen Ackerbau nicht geeignet.
Doch sind die Bewohner arbeitsame und kräftige Leute. Viele
wandern sogar während der Ernte in fruchtbarere Gegenden, um
dort als Taglöhner zu helfen, so besonders die Bewohner der Pro¬
vinz Fulda. Man kann von dem kurhessischen Landvolke rühmen,
dass es noch Viel von seinen ererbten Sitten und Trachten beibe¬
halten und sich weniger nach der Mode bequemt hat, als in ande¬
ren Gegenden Deutschlands. In den Städten ist freilich die Sitte
und Mode wie überall; zumal in denjenigen, wo lebhafter Handel
getrieben wird und viele Fremden sich aufhalten. Die Lage der
Hauptstadt Kassel an der schiffbaren Fulda, nicht weit von ihrem
Zusammenfluss mit der Werra, macht sie jetzt schon zu einem
wichtigen Verkehrsplatze. Werden erst die Eisenbahnen nach
Frankfurt am Main, so wie nach Leipzig vollendet sein, so wird
Kassel ein wichtiger Mittelpunkt zwischen dem nördlichen und
südlichen, dem östlichen und westlichen Deutschland werden. Dann
wird die jetzige Bevölkerung desselben von 34000 Seelen gewiss
noch höher steigen. Auch werden sich dann immer mehr Fremde
dort einfinden, um die schönen Anlagen zu Wilhelmshöhe nahe
vor der Stadt, die dortigen Wasserkünste, die riesige Bildsäule
des Herkules (den sogenannten grossen Christoffel) zu beschauen.
Das Grossherzogthum Hessen ist bevölkerter (860000),
besonders in den fruchtbaren Gegenden am Rhein und in der Wet¬
terau. Viele Dörfer haben da ein städtisches Aussehen, zumal wo
der Wein-, Obst- oder Tabaksbau oder überhaupt die höher ge¬
stiegene Kultur des Bodens mehr Geld in Umlauf bringt. Selbst
die minder ergiebigen Gegenden dieses Landes, im Odenwalde,
Vogelsberge oder in dem nach Westphalen reichenden Hinterlande
zeichnen sich durch vortreffliche Kunststrassen aus, wodurch der
Verkehr befördert und die Einwohner betriebsamer werden. Die
Hauptstadt des Grossherzogthums, Darmstadt, ist eine der am
raschesten emporgekommenen Städte Deutschlands. Vor 50 Jah¬
ren noch ein kleines Landstädtchen, das sich blos durch ein
weitläufiges Residenzschloss und ein merkwürdig gebautes Exer¬
zierhaus auszeichnete, ist jetzt eine Stadt von fast 30000 Ein¬
wohnern mit allen grossstädtischen Einrichtungen daraus gewor¬
den. überdies hat ihre Lage am Rande des Odenwaldes und der
Bergstrasse in der Nachbarschaft herrlicher Waldungen die An¬
lage vortrefflicher Spaziergänge mit Aussichten in die Rhein¬
ebene möglich gemacht. Durch die grosse Eisenbahn durch Ba¬
den längs des Rheines bis nach Frankfurt und von da nach Kassel,
sowie durch die Nähe des Rheins, Mains und Neckars ist Darm-
stadt mit den bedeutendsten Orten Deutschlands in Verbindung
gebracht.
Grösser als Darmstadt und für den Handel weit wichtiger
ist die alte, am Einfluss des Mains in den Rhein gelegene Stadt
Mainz, die Hauptstadt der Provinz Rheinhessen. Sie liegt selbst