Full text: Für die Oberklassen (Theil 2)

195 
Wir sollen unserer Vernunft folgen in unsern Urtheilen; denn Gott 
hat einem jeden Menschen Vernunft gegeben, die er gebrauchen soll. 
Wir sollen die Vernunft anderer anhören, sie prüfen, vergleichen und 
unsere darnach berichtigen, wenn wir noch nicht ganz gewiß waren, 
oder die unsrige befestigen, wenn wir Recht hatten. Die Vernunft 
dürfen wir überall brauchen; denn wir sollen überall Menschen, das 
heißt „vernünftige Geschöpfe" sein. 
Wer seinen Verstand nicht aufgehellt und gebildet hat, der ist zu 
keinem Geschäfte des Lebens vorzüglich geschickt, und in Gefahr, sich 
beständig zu verirren. Er weiß nie recht bestimmt und gewiß, waS 
seine Pflicht in diesem oder in jenem Falle, welches in diesem oder 
jenem Falle die beste Weise, zu handeln, sei. Er thut entweder zu viel 
oder zu wenig, thut sich oder andern Schaden. Er kann über keinen 
Vorfall, wo es oft wichtig und nöthig ist, schnell und richtig urthei¬ 
len und muß sich dann auf andere verlassen, die es vielleicht eben 
so wenig können, oder die wohl gar die Absicht haben, ihn zu hinter¬ 
gehen. Wer seinen Verstand nicht gebildet und sich nicht Kenntnisse 
über die gewöhnlichen Dinge und Erscheinungen in der Welt erwor¬ 
ben hat, der ist in Gefahr, eine Menge abergläubiger Meinungen 
zu behalten oder anzunehmen, die entweder seine Ruhe stören, ihn 
ängstlich machen, von dem Wesentlichen der Religion und der Lebens¬ 
pflicht abziehen, oder gar ihm und seinem Nächsten durch Unwissen¬ 
heit und Thorheit empfindlich schaden. Die leeren Einbildungen von 
Teufelswirkungen, Hererei, Gespenstern, Kobolden und Zaubereien 
aller Art setzen den Leichtgläubigen in manche Furcht, über die der 
Vernünftige nur lächelt. Die Bosheit und List mancher Menschen 
bedient sich dann der Einfalt anderer, um ihre schändlichen Absichten 
durch Betrug zu erreichen. Die Erscheinungen der Natur selbst versetzen 
manchen, der keine richtigen Begriffe und keine Belehrung darüber 
hat, in die größten Schrecken. Der wohlthätige Donner ist ihm ein 
furchtbares Strafgericht, der Blitz eine Zornflamme, indeß doch der 
allgütige Gott diese Erschütterungen der Luft und der Erde zur grö߬ 
ten Wohlthat geordnet hat. Mit Verstand und Vernunft hat man 
überall die nöthige Gegenwart des Geistes und sieht sogleich die wahre 
Ursache, woher etwas entsteht, oder muthmaßet sie doch ziemlich 
richtig, und keine Furcht kann sich unserer bemächtigen. 
3oh. Göttlich Scume. 
13* 
4Gk»
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.