11
Vogel im schnellsten Fluge holt mein Pfeil aus den Lüften herunter."
„Du bist ein Künstler," antwortete spöttisch der König. „Schade,
daß ich gerade jetzt mit Menschen Krieg führe, sobald ich aber einmal
mit den Staaren Krieg anfange, werde ich dich zu allererst in Dienst
nehmen." Aster war durch diesen Spott beleidigt, und schlich sich
in die belagerte Stadt, um sich an dem Könige rächen zu können.
Die Belagerten nahmen ihn gut auf, und wiesen ihm einen Posten
auf der Mauer an. Schon am andern Tage, als der König durch die Rei¬
hen seiner Soldaten ging, um ihren Muth anzufeuern, fuhr ihm plötz¬
lich ein Pfeil ins rechte Auge. Man eilte herbei, und zog den blutigen
Pfeil heraus, und las mit Erstaunen eine Aufschrift. Sie lautete:
„König Philipp's rechtem Auge! Aster." Sobald der König sich
erholt hatte, befahl er einen andern Pfeil in die Stadt zu schießen,
mit der Aufschrift: „Wenn König Philipp die Stadt einnimmt, so
läßt er den Aster hängen." Die Wunde des Königs wurde geheilt,
und bald darauf die Stadt erobert. Da hielt nun freilich der König
Wort, und der treffliche Bogenschütze kam an den Galgen; aber
Philipp hat dadurch sein Auge doch nicht wieder bekommen, und die
Lust zu Spöttereien war ihm auf immer vergangen.
« W. I. ©. Eurtmann.
22. Der Wolf im Schafsfelle. (Fadel.)
TT Ein Wolf hatte sich, so gut er konnte, in ein Schafsfell
versteckt, sich in dieser Kleidung unter eine große Heerde gemischt,
und hatte, ein paar Tage hinter einander, an jedem Abende richtig
ein Schaf verzehrt. Bald aber merkte der Hirt den Verlust; er
durchsuchte die Heerde sorgfältig, erwischte den saubern Gast, und
schlug ihn todt.
Dieser Hirt hatte einen Sohn, der auch schon hüten half,
aber nicht zugegen war, als dieses vorstel. Der wunderte sich nicht
wenig, als er bei seiner Rückkehr den todten Wolf liegen sah, und
den Verlauf erfuhr. — „Wer hätte unter diesem Felle" — rief er,
— „einen Wolf suchen sollen!"
„Mein Sohn" — erwiederte der Vater — „zieh' dir die Lehre
daraus, daß man, bei Menschen und bei Thieren, auf ihre Handlun¬
gen, und nicht auf ihr Kleid sehen muß." Aug. Gom. Meißner.
23. Die beiden Frösche. (Fabel.)
23. Lang anhaltende Sonnenbitze hatte einst einen tiefen
Sumpf ausgetrocknet, und die Frösche, die ihn bisher bewohnt hatten,
waren genöthigt, sich einen andern Aufenthaltsort zu suchen. Da
kamen zwei von ihnen zu einem sehr tiefen Brunnen, der voll von
Wasser war. „Ich dächte," rief der eine, „wir hüpften hier hinunrer;