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85. Der Hirehensürst in der Hütte der Armuth.
Eines Tages fuhr ein herrschaftlicher Wagen einen
Berg in N... hinauf. Oben stand eine ärmliche Bauern¬
hütte, ringsum gestützt, dass sie nicht zusammenstürze.
Vor der Hütte spielten drei mit Lumpen bedeckte Kin¬
der, deren Gesichter, von Hunger und Entbehrung zwar
gebleicht, doch in unschuldiger Freude heiter lächelten.
Der Fremde, der im Wagen sass, liess still halten und
stieg aus. Wie einst der göttliche Kinderfreund im Ju¬
denlande, begrüsste er herablassend die Kleinen und be¬
gehrte von ihnen in die Hütte geführt zu werden. Die
Kinder, welche bald merkten, dass der fremde Herr
sie lieb habe, fassten schnell Zutrauen zu ihm und hüpf¬
ten freudig vor ihm her ins Stübchen, wo der Gross¬
vater, ein blinder Greis, einsam dasass, und die eben
gesottenen Kartoffeln, seine und seiner Enkel einzige
Mittagskost, bedächtig befühlte, ob sie wohl hinlänglich
weich seien. Mit freundlicher, wohlklingender Stimme, die
zu Herzen drang, fragte der Fremde den Alten nach
seinen Umständen, und erfuhr, dass der Greis und die
übrigen Bewohner dieser Hütte sehr dürftig leben muss¬
ten. „Aber, wie getraut ihr euch, fragte er weiter, in
dieser so baufälligen Hütte, die alle Tage den Einsturz
droht, zu wohnen?“ — „Ach, entgegnete der blinde Mann,
es würde zwar nur 80 fl. kosten, diese Hütte wieder
recht gut herzustellen; allein woher nehmen wir so viel
Geld, da schon das Essen so viel kostet?!“ — Der
Fremde tröstete den Greis, ermahnte ihn zum Vertrauen
auf den Vater dort oben, und steckte ihm ein Papier
in die Hand, mit der Mahnung, es wohl zu verwah¬
ren, bis die Eltern der Kleinen von der Feldarbeit nach
Hause kämen. Er liess auch kalte Küche aus seinem
Wagen hereintragen, und speiste damit die hungernden
Kinder und den armen Grossvater. Während die Kin¬
der mit Behagen die ungewohnten Bissen verspeiseten,
betrachteten sie fortwährend den schönen, grossen, lie¬
ben Mann, und konnten sich an dem herrlichen Ringe, den