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Das Obererzgebirge. 
Pfeiler, die die Decke zu einem Ganzen zusammenfassende Bildung der sich 
durchdringenden Knrvenrippen, die Stellung der Kanzel — alles dies giebt 
solchen Kirchen im hohen Grade den Eindruck des Saalartigen, des Gemeinde- 
baues, der Predigtkirche, soweit dies bei gotischen Formen überhaupt erreichbar 
ist. Ähnlich ist die Schneeberger Kirche gestaltet. Schon hielt man hier nicht 
mehr für nötig, dem Mittelschiffe einen chorartigen Abschluß zu geben. Der 
Altar steht frei vor der ringsumlaufenden, den Eindruck des Raumes künstlerisch 
beherrschenden Empore. Diese Form war entlehnt von der Marienkirche zu 
Zwickau, welche 1465 —1475 erbaut wurde. 
In der Kirche zu Oederan aber, wie in jenen zu Penig und Geithain und 
sämtlichen kleineren Orten des Erzgebirges, ließ man auch die Pfeiler als Dach¬ 
stützen fort und schuf lediglich den von den Emporen umgebenen Saal, an den 
das Chor als etwas Selbständiges sich anlegt. Am entschiedensten und merk¬ 
würdigsten zeigt sich die neue Richtung an der Kirche zu Joachimsthal, die erst 
nach dem Beginne der lutherischen Reformation angelegt wurde. Die böhmische 
Bergstadt ist in vielen Beziehungen eine Tochter Annabergs. Die ganze An¬ 
lage der Kirche ist sehr nüchtern. Sie ist durchaus protestantisch, durchaus 
zweckmäßig, durchaus im bewußten Gegensatze zu der Altarkirche des alten 
Glaubens errichtet, sodaß hier dem Katholizismus ernste Schwierigkeiten er¬ 
wuchsen, als er den Ban für seinen Gottesdienst einrichten ließ. 
War also das Aufgeben der malerisch reizvollen Grnndrißformen der Gotik 
zu Gunsten einer möglichst klaren, einheitlichen Raumgestaltung ein Werk des 
Bestrebens, Predigt- und Gemeindekirchen zu schaffen, so zeigt sich dies auch in 
der Pseilerbildnng. Die Pfeiler wurden nun fast notwendige Übel. Man bildete 
sie deshalb so einfach als möglich und suchte einen Stolz darin, die Zahl der 
Stützen unter den Gewölben thunlichst zu beschränken. In Schneeberg ist die 
sehr nüchterne Führung der Gewölblinien in allen drei Schiffen dieselbe; in 
Lann tritt eine Eigentümlichkeit der Spätzeit der Gotik ans, nämlich die, daß 
die Rippennetze ans Bogen gebildet sind, eine Erscheinung, die sich in Brüx, 
am Hauptchor in Pirna, am Chor der Stadtkirche zu Lommatzsch und an der 
Annaberger Kirche wiederholt. Diese Formen finden sich auch wieder am 
Wradislavsaale des Schlosses auf dem Hradschin und in dem erst durch Jakob 
von Schweinfnrt errichteten Wappensaale der Albrechtsbnrg in Meißen. — 
Von besonderer Wichtigkeit ist, zu sehen, wie die Baumeister sich den Emporen 
gegenüber verhielten. Man errichtete neben den Pfeilern des Mittelschiffes der 
alten Kirche die neuen, schwächeren Pfeiler, spannte die Gewölbe ein und konnte 
dann die alte Kirche aus dem Innern der neuen entfernen. So geschah es in 
Annaberg. In Annaberg entwickelte sich der Emporenbau nur schrittweise; der 
älteste Teil ist die „Musita", die Orgelempore. In der Marienbergcr Kirche 
(1558 — 1564 erbaut) liegt die Sakristei hinter der Empore, welche den ganzen 
Ban umzieht. Das Chor als solches ist ganz aus dem Plane gestrichen. In 
der Bergkirche zu Annaberg ruhen die Emporen ans Säulen und ziehen sich 
ringsum. Jemehr die Strebepfeiler nach innen rückten, desto ungegliederter 
wurde das Äußere. In Lann, Freiberg, Schneeberg, Oederan, Buchholz er¬ 
scheinen die Streben als mehr oder minder schwache Wandstreifen. In Brüx 
und Annaberg sind die Umfassnngswände ebenso glatt wie an den meisten 
Schloßkapellen. Die Art der Gotik ist umgewendet. 
Während an dem Dome zu Köln, wie an den großen französischen Kirchen 
eine gewaltige Zahl von Nebenkapellen, Strebepfeilern und Bogen, Fialen,
	        
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