9. Die Reiche Juda und Israel.
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das Erb-Königthum geltend machen wollte, und es gerieth in die Hände
des schlimmsten Despotismus, des militärischen. Wie aber eine des¬
potische Herrschaft, die nur auf Waffen ruht, immer zugleich eine höchst
unsichere ist, weil jeder tüchtige Feldherr so viel zu sein glaubt als der
König, jeder Ehrgeizige es zu sein strebt, so war es in Israel. Je-
robeam's Sohn und Nachfolger wurde nach einer sehr kurzen Regierung
von einem Heerführer gestürzt und sein ganzes Haus ansgerottet, und
so ging es fort. Die neunzehn Könige, welche über das Reich Israel
während der dritthalbhundertjährigen Dauer desselben herrschten, waren
aus neun verschiedenen Häusern, welche sämmtlich auf gewaltsame Weise
die Herrschaft an sich rissen. Und bei allem diesen Uebergcwicht des
Soldatcnwescns war der Staat schwach gegen feindliche Nachbarn, be¬
sonders gegen die Syrer von Damaskus.
Die Vortheile, welche Juda der größer» Ausdehnung und Men¬
schenzahl Jsrael's gegenüber besaß, bestanden in der Festigkeit des im
Davidischen Geschlecht erblichen Thrones, indem der älteste Sohn fast
immer dem Vater folgte, von Verschwörungen und Meutereien gegen
die Könige nur wenige Beispiele vorkamen, und ferner in dem Besitz
der heiligen Stätte des Jehovahdienstes, auf welche alle Fromme auch
in Israel wie auf den religiös-nationalen Mittelpunkt blickten. Diese
Beziehung seiner Unterthanen zur Hauptstadt Jnda's zu zerstören, ver¬
bot Jerobeam die Festfahrten nach Jerusalem, durch welche, wie er
fürchtete, die Gemüther sich ganz wieder zur Davidischen Dynastie Hin¬
neigen würden, und zum Ersatz stellte er in zwei Grenzstädten, zu Dan
und zu Bethel, goldene Kälber oder Stiere, als Sinnbilder Jehovah's
auf, und verführte dadurch das der sinnlichen Auffassung göttlicher
Dinge ohnehin nur zu geneigte Volk zwar nicht zum Götzendienst, aber
doch zu dem in dem mosaischen Gesetze auf's strengste verpönten Bil¬
derdienst. Für diesen von ihm geschaffenen Cultus stellte Jerobeam
nichtlevitische Priester an, viele Leviten aber und andere den göttlichen
Geboten treue Israeliten verließen darüber das Reich und wanderten
nach Juda aus, dessen Kraft durch diese Einzöglinge verstärkt ward.
Unter den folgenden Königen bestand dieser Bilderdienst fort, aber da¬
bei blieb es nicht. Ahab, der Sohn Omri's, der vierzig Jahre nach
dem Tode Jerobeam's den Thron bestieg, führte auf den Antrieb seiner
Gemahlin, der berüchtigten Jsebel, einer sidonischen Königstochter, deren
Leitung er sich ganz hingab, den Dienst phönicischer Götter ein; er er¬
richtete zu Samaria, welches Omri gebaut und zum Königssitze gemacht
hatte, dem Baal und der Astarte Altäre. Im ganzen Lande wurde der
Baalsdienst mit seinen schmählichen Gebräuchen herrschend, ein tiefer
Sittenverfall war die Folgt*).
*) Den Untergang des Reiches Juda s. in der Geschichte des neubabylonischen
Reiches Nr. 19, den des Reiches Israel in der Geschichte des assyrischen
Reiches Nr. 18.