Full text: [Teil 3, [Schülerband]] (Teil 3, [Schülerband])

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Daheim in unsern Bergen kann man die Kinder dieses Volkes 
alle Tage sehen. Halbe Dörser sind von Zigeunern bewohnt; sie reden 
freilich nicht mehr so welsch und sind nicht mehr so diebisch wie die 
Wanderhorden. Aber wie diese seßhaften Zigeuner früher gewandert 
sind, gleich den andern, so müssen sie dereinst auch wieder von ihren 
Sitzen fort, wann ihre Zeit erfüllet ist; denn das Wandern ist den 
Zigeunern als Gottes Fluch auferlegt, und so gab er dem Volke den 
Namen Zigeuner, indem er zu ihm sprach: „Zieh einher!“ Wo aber 
in meinen jungen Tagen eine Wanderhorde Zigeuner in ein offenes 
Dorf kam, da läutete man Sturm, und die Bauern standen auf, als 
sei der Feind da, und bewehrten sich, um Hab und Gut zu schützen. 
Wir hatten kaum Platz genommen, da erhob sich das alte Zigeuner— 
weib. „Kocht uns eine Suppe!“ rief sie befehlend. Man kehrte sich 
nicht an ihren Ruf. 
„Ich gebe Euch einen guten Rat fürs Vieh!“ fügte sie nach einer 
Pause einschmeichelnd bei. 
Aber die Wirtsleute blinzelten gegen einander und thaten, als ob 
sie nichts gehört hätten. 
Das alte Weib merkte das und mochte leicht den Sinn erraten. 
„Wir haben Geld,“ rief sie hastig, „wir bezahlen so gut wie andere 
Leute.“ Und bei diesen Worten zog sie ein ledernes Beutelchen und 
ließ der Reihe nach wohl zehn blanke Thaler durch die knochigen 
Finger gleiten. 
Aber die Wirtin faßte sich ein Herz und sagte: „Ihr könnt hier 
ausruhen und, wenn Ihr wollt, auch in unserm Stalle schlafen, aber 
Essen und Trinken haben wir nicht für Euch.“ 
„Das sind böse Leute,“ sprach die Zigeunerin zu uns herüber, 
„uns hungert gar sehr, junger Bursche.“ Hierauf begann die Alte 
mit dem Mädchen rasch und heflig in ihrem Rotwelsch zu reden. Ich 
ging zur Wirtin und fragte sie, warum sie denn den Weibern fürs 
Geld nichts zu essen geben wolle, da sie ihnen doch, was viel mehr 
sei, eine Schlafstätte angeboten habe. Die Wirtin gab zur Antwort: 
„Man weiß nicht, ist es schlimmer, grob sein oder freundlich sein gegen 
dieses Volk, das einem der Satan ins Haus schickt. Sind wir ihnen 
grob, dann verhexen sie uns das Vieh, sind wir ihnen freundlich, dann 
stehlen sie uns die Herberge aus. Wo aber ein Zigeuner schläft, da 
stiehlt er nie; dagegen wo er ißt und trinkt, beraubt er den Wirt. 
Wäret Ihr nicht von heute, junger Freund, dann wüßtet Ihr wohl, 
daß auf weit und breit kein Mensch diesem Volke zu essen geben mag 
und zeigte die Hexe gleich eben so viele Goldstücke, als sie vorhin ge⸗ 
stohlene Thaler gezeigt hat. 
Ein Handwerksbursche, der schon oft Hunger gelitten hat, weiß, 
daß der Hunger auf der Wanderschaft ein bitteres Kraut ist. Darum, 
als die Wirtin mir und meinem Kameraden den Tisch deckte, konnte
	        
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