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Gesetz beschlossen haben, so erhält dieses erst dadurch öffentliche Gültigkeit,
daß der Kaiser es mit seinem Namen unterzeichnet und durch den Neichs-
anzeiger verkündigen läßt. So übt der Kaiser die vollziehende Gewalt ans.
— Zu den Reichsangelegenheiten gehören die äußere Politik und das Heer-,
Marine- und Zollwesen, sowie das Post- und Telegraphenwesen außer in
Bayern und Württemberg. Die Ausgaben für das Reich werden aus den
Erträgen der Zölle und der indirekten Steuern (Salz, Branntwein), sowie
ans den Überschüssen des Post- und Telegraphenwesens bestritten. Die noch
fehlenden Gelder müssen durch die einzelnen Staaten aufgebracht werden.
Das Reichswappen zeigt einen einköpfigen schwarzen Adler auf goldenem
Grunde. Die deutschen Nationalfarben sind schwarz-weiß-rot.
2. Die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands, a) Industrie,
Handel und Gewerbe. In den wirtschaftlichen Verhältnissen Deutschlands
trat seit der Mitte des 19. Jahrhunderts eine große Umwälzung ein. Diese
wurde besonders durch die ungeheure Vermehrung der Verkehrsmittel, der
Eisenbahnen und Dampfschiffe, bewirkt. Neben dem Dampf wurden auch^
Petroleum, Gas und Elektrizität im Dienste des Verkehrs verwendet. Die
deutsche Industrie nahm einen gewaltigen Aufschwung, besonders als die
französische Kriegskostenenlschädigung, der Milliardensegen, nach Deutschland
hereinströmte. Überall entstanden Fabriken, die Waren aller Art herstellten.
Um die massenhaften Erzeugnisse, wie Maschinen, Bekleidungsartikel usw.
abzusetzen, bemühte sich die deutsche Industrie, auch das Ausland als
.Käufer für ihre Waren zu bekommen. Sie trat in Wettbewerb mit der
englischen Industrie, die bisher fast allein den Weltmarkt beherrschte. Heute
sind die deutschen Waren ebenso gesucht wie die englischen und werden
auf deutschen Schiffen nach allen Ländern der Erde versandt. Während
früher die deutsche Handelsflotte klein und unbedeutend war, hat sie seit der
Gründung des Reiches die französische längst überholt und ist jetzt die
drittgrößte der Welt. Die bedeutendsten Seeschiffahrtsgesellschaften sind der
„Norddeutsche Lloyd" zu Bremen und die Hamburg-Amerika-Paketfahrt-
Akliengesellschaft. Der deutsche Seehandel wurde durch den deutschen Zoll¬
verein kräftig unterstützt; dieser schloß mit benachbarten Staaten und auch
mit außereuropäischen Reichen Handelsverträge ab, um den deutschen
Waren auswärts Absatz zu verschaffen. Für die vielen neugegründeten Fa¬
briken wurden Hunderttausende von Arbeitern gebraucht. Da die Industrie
höhere Löhne als die Landwirtschaft zahlt, so fiedelten viele Landarbeiter
nach den großen Städten und Jndnstriebezirken über. Dieser große Zuzug,
der auch heute noch andauert, bewirkt ein schnelles Anwachsen der großen
Städte; der Landwirtschaft dagegen werden dadurch die nötigen Arbeitskräfte
entzogen, so daß diese über „Leutenot" klagt. Der gewaltige Aufschwung
der Industrie brachte auch den gewerbetreibenden Stand in eine üble Lage.
Die kleinen Handwerker konnten die Waren nicht so billig liefern wie das
Großgewerbe, das mit großem Kapital und mit Maschinen arbeitete. Viele
selbständige Handwerker gingen zugrunde.
b) Die wirtschaftliche Gesetzgebung. Das wirtschaftliche Leben im Innern