Contents: Deutsches Lesebuch für einfache Schulverhältnisse

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159. Das Bild des Großvaters. 
Zu den Zeiten unserer Väter saß am hohen Thore vo! 
Danzig ein altes Mütterchen, namens Else, die in einer Hölzernei 
Bude ein kleines Waarenlager von Nürnberger Spielsachen, buntei 
Bilderbogen und einigem alten Gerümpel feil bot. 
Die Bude war, wie das Mütterchen, alt und gebrechlich 
denn Else war in derselben schon als Kind geschäftig gewesen 
sie saß hier als Braut, als junge blühende Frau, als Mutter 
Sie trauerte hier als Witwe: sie saß hier mit bleichem Angesich 
und rothgeweinten Augen, als sie ihr letztes Kind begraben hatte 
Alle ihre Freuden und alle ihre Schmerzen hatte sie hier durchlebt 
geduldig in Trübsal, dabei aber fröhlich irr Hoffnung auf die Hilfe W 
Herrn. Nun aber wurden ihre letzten Tage immer trüber; denn uu 
selten blieb noch ein Käufer vor der kleinen Bude stehen, ja oft, sehr os 
mußte sie ihr kleines Waarenlager schließen, ohne einen Grosche' 
gelöst zu haben. Da mußte sie denn freilich darben und entbehret 
Sie hatte zwar nie etwas von Wohlleben geschmeckt, aber immer 
dar doch so viel errungen, um des Leibes Leben von einem TG 
zu deni andern fristen zu können. 
Jetzt aber war ihre Noth überaus groß geworden; denn sch^ 
seit drei Tagen hatte sie auch gar nichts verkauft, und doch wa 
die Miethe für die kleine Kammer, in welcher sie des Nachts schlief 
fällig. Zwar machte ihr diese Schuld nicht gerade großen Kummes 
denn sie wohnte bei armen Leuten, die selbst den Mangel und dr 
Noth nur zu gut kannten, und die deshalb mit der noch ärmere 
Alten Nachsicht hatten bis auf bessere Zeiten. Aber der Mann 
von dem sie die Spielsachen und bunten Bilder bezog, war, obwob 
reich, doch harten Herzens. Er hatte gedroht, wenn Else die Î1!1 
ihn unbedeutende Schuld nicht zahlen würde, ihr gerichtlich &I1 
Bude zu verkaufen, sie selbst aber in den Schuldthurm sperren zu lasses 
So saß sie denn ganz sorgenvoll da, das Haupt gebeugt, 
hageren Hände gefaltet. Draußen aber zwitscherte die Lerche rech 
fröhlich, denn der Frühling war gekommen; aber ihr ward imuu' 
weher ums Herz, und sie wünschte sich sehnlich dorthin, wo u' 
braver Mann und ihre Kinder längst ruheten. 
Da kam ein Mann dahergeschlendert, der störte sie in W 
Betrachtungen und Wünschen. Er war auch kein Jüngling mE 
denn sein Haar ergraute bereits; sonst war er aber noch ziemUa 
rüstig unb kräftig. Was er war, das verrieth seine Theerjacke un 
der breite, schwankende Gang, nämlich, daß er ein Seefahrer wa 
Er hatte die Arme über einander geschlagen uni) sah, wie es sclu^ 
befremdet und doch bekannt umher. . ¿ 
Nachdem er nun jeden Stein am Thore, jeden Sitz und iev 
Gebäude lange gemustert hatte, fiel sein Blick endlich auf P
	        
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