Die Schweiz,
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her in den Waldstätten selbst hatte wohnen dürfen, so baute sich dock der
Geßler in Uri einen Zwinghof, und der Landenberger saß in des Königs
Schloß bei Sarnen in Unterwalden. Da schalteten und walteten sie, als
willige Knechte, im Geist ihres Herrn gegen die freien Männer, zugleich
als wären sie selber die Herren; verachteten die Freiheit, traten alles Recht
mit Füßen und verhöhnten das biedre, treuherzige Volk. Wo sie einen ge¬
ringen Anlaß oder Vorwand fanden, da ließen sie die freien Männer in
finstre Kerker werfen oder gefangen gar aus dem Land führen, was bisher
unerhört gewesen war. Auch legten sie schwere Zölle auf die Einfuhr und
verboten die Ausfuhr. Die einheimischen Geschlechter, an denen das Volk
mit Liebe hing, schimpften sie „Bauernadel", so daß die jüngeren Herren in
denselben, von falscher Scham bethört, lieber Hof- und Herrendienst suchten.
Endlich hingen die Vögte, im Uebermuth auf des Königs Wohlgefallen,
daß sie ungestraft Alles thun dürften, ohne Scheu ihren bösen Gelüsten nach.
Mit großem Kummer sahen die freien Bauern dies arge Treiben; sie
schickten zum König Albrecht und stellten ihm Alles bescheiden vor, empfin¬
gen aber weder Hilfe noch Trost. Weil nun kein Bedrängter mehr zu sei¬
nem Recht kommen konnte, so ward Jedem die Rothwehr zum letzten heili¬
gen Recht. Und es geschah, daß der Landenberger dem Heinrich an der
Halden, einem Mann aus dem Melchthal in Unterwalden, wegen geringer
Ursach' ein schönes Joch Ochsen nahm, und sein Knecht, der es hinweg¬
führte, höhnte noch gar den Beraubten also: „Will der Bauer Brot essen,
so mag er selbst den Pflug ziehn;" da kam Arnold, Heinrichs Sohn, in
so heftigen Zorn, daß er den Knecht schlug und ihm einen Finger brach;
drauf entfloh er vor des Vogtes Zorn. Dieser aber ließ, weil ihm der
Sohn entkommen war, statt dessen den Vater festnehmen und ohne Erbaw
men ihm die Augen ausstechen. Zur selben Zeit saß auch auf der Schwanau
im Lowerzer See ein böser Burgvogt; der nahm der Tochter eines Mannes
von Art ihre fräuliche Ehre; dafür nahmen ihm ihre Brüder das Leben.
So ging's auch dem Junker Wolfenschießen, welcher des Königs Burgvogt
auf Roßberg war und der schönen Hausfrau des Konrad von Baumgarten
in Alzellen nachstellte. Eines Tages, während ihr Mann draußen im Walde
war, kam der Junker ins Haus und befahl der Frau, ihm ein Bad zu rü¬
sten, und wollte ihr Ungebührliches anthun. Aber sie holte eilig ihren Ehe¬
herrn; der kam mit der Art herein, da der üppige Junker im Bade saß, und ge¬
segnete ihm das Bad mit einem Hieb, daß ihm der Schädel entzwei sprang.
In dieser schlimmen Zeit fuhr Werner Stauffacher, ein Ehrenmann
aus Schwyz, über den See zu einem Freund, den er im Lande Uri hatte;
der hieß Walter Fürst und herbergte den flüchtigen Arnold aus dem
Melchthal. Diese drei klagten einander über die Roth der Waldstätte und
rathschlagten über die Befreiung ihrer Landsleute. Und nachdem Jeder zu¬
vor seine Freunde und Verwandten sorgsam erforscht hatte, kamen sie am
Mittwoch vor Martinstag 1307 in stiller Nacht auf das „Grütli"; das
ist eine einsame Wiese auf einer Höh am Waldstättersee, und nicht weit da¬
von stoßen die Grenzen von Uri und Unterwalden zusammen. Jeder von
jenen Dreien hatte zehn fromme Männer mit sich gebracht, und alle drei
und dreißig reichten sich brüderlich die Hände darauf: daß Keiner in ge¬
meinsamer Sache nach eignem Gutdünken handeln, sondern Alle treueigen
für einander und für ihre Landsleute leben und sterben wollten, rechtschaf¬
fen, ohne des Königs Gut und Rechte zu schmälern, und ohne Blut zu
vergießen; auf daß die Freiheit, die sie von ihren Vätern erhalten hatten,
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