Full text: Westfälischer Kinderfreund

101 
105. Friedhossbesuch. 
Beim Totengräber pocht es an: 
„Mach auf, mach auf, du greiser Mann! 
Thu auf die Thür und nimm den Stab; 
mußt zeigen mir ein teures Grab!" 
Ein Fremder spricht's mit strupp'gem Bart, 
verbrannt und rauh nach Kriegerart. 
„„Wie heißt der Teure, der Euch starb 
und sich ein Pfühl bei mir erwarb?"" 
„Die Mutter ist es; kennt Ihr nicht 
der Martha Sohn mehr am Gesicht?" 
„„Hilf Gott, wie groß, wie braun gebrannt! 
hätt' nun und nimmer Euch erkannt! 
Doch kommt und seht, hier ist der Ort, 
nach dem gefragt mich Euer Wort; 
Hier wohnt, verhüllt von Erd' und Stein, 
nun Euer totes Mütterlein!"" 
Da steht der Krieger lang' und schweigt, 
das Haupt hinab zur Brust geneigt; 
Er steht und starrt zum teuren Grab 
mit thränenfeuchtem Blick hinab. 
Dann schüttelt er sein Haupt und spricht: 
„Ihr irrt, hier wohnt die Tote nicht. 
Wie schloss' ein Raum, so eng und klein, 
die Liebe einer Mutter ein?!" 
Joh. Nepomuk Vogl. 
106. Wachet aus! ruft uns die Stimme. 
Das ist ein gewaltiger Weck- und Wächterruf an die sichre 
Welt und wiederum ein lieblicher Freudengruß an das himmlische 
Jerusalem, nach dem Gleichnisse von den zehn Jungfrauen und 
einigen andern Schriftstellen gedichtet von Philipp Nicolai, der 
von 1596 bis 98 in Unna das Predigtamt verwaltete1). Im Jahre 
1597 wütete in Westfalen eine fürchterliche Pest, die auch in 
Unna gar viele Menschen wegraffte, im ganzen wohl 1400. „In 
solchem Jammer und Elende,“ erzählt Nicolai, „als es hier in 
unserer Stadt in allen Gassen rumorte und oftmals etliche Tage 
nacheinander über die zwanzig und bis in die dreißig Tote nicht 
weit von meiner Wohnung auf dem Kirchhofe unter die Erde ver¬ 
scharrt worden sind, hab’ ich mich immer mit Todesgedanken 
schlagen müssen und war mir mit einmal zu Mut, wie dem Könige 
Hiskia, Jes. 38. Es überfiel die Pest mit ihrem Sturm und Wüten 
die Stadt wie ein Platzregen und Ungewitter, ließ bald kein Haus 
0 Geboren war er 1566 zu Mengeringhausen im Waldeckschen. Ehe er 
nach Unna kam, hatte er schon an mehreren Orten gewirkt; doch hatte er seines 
evangelischen Bekenntnisses wegen viel Anfechtung zu erdulden und eine Stelle 
nach der andern verlassen müssen.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.