Full text: Württembergisches Realienbuch

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niemand den „durch die Welt rollenden Karren" aufhalten, und so wurde 
auch in Deutschland im Jahr 1830 zum erstenmal auf der Eisenbahn 
gefahren. Württemberg eröffnete den ersten Eisenbahnverkehr im Jahr 
1845 zwischen Cannstatt und Untertürkheim. Die Lokomotiven mußten 
anfangs aus England bezogen werden. Krupp in Essen und Borsig in 
Berlin gründeten dann Maschinenfabriken und lieferten Lokomotiven; bald 
entstand eine solche Maschinenfabrik auch in Eßlingen. Friedrich List 
strebte ein einheitliches Eisenbahnnetz für ganz Deutschland an; allein der 
Plan scheiterte an dem Widerspruch der einzelnen Staaten. Erst das neue 
Deutsche Reich hat im Eisenbahnwesen manches einheitlich geregelt. 
Welche Ausdehnung das Eisenbahnnetz und damit der Verkehr bis 
zur Gegenwart erlangt hat, kann man am besten aus einigen Zahlen ersehen. Im 
Jahr 1840 betrug die Gesamtlänge aller Bahnen der Erde 8000 km, 1904 aber 
860000 km. Durch die Alte Welt führt eine ununterbrochene Bahn von Lissabon 
am Atlantischen Ozean bis nach Port Arthur am Großen Ozean. Die deutschen 
Bahnen hatten am Ende des Jahres 1904 eine Länge von 56000 km, die Telegraphen¬ 
linien eine solche von 210000 km; befördert wurden 4746 Millionen Briese, 215 Mil¬ 
lionen Pakete und 175 Millionen Postanweisungen. Deutschland steht mit diesen 
Zahlen an der Spitze aller Länder der Erde. Die Befürchtung, daß durch den Bau 
von Eisenbahnen die Post Not leide, ist nicht eingetroffen. Im Gegenteil! Die schönen 
Zeiten der Postsahrten und des peitschenknallenden Postknechts sind freilich ent¬ 
schwunden; alles geht jetzt mit Dampf, viel schneller und billiger. Während in den 
Zeiten der alten deutschen Posten ein Brief vom Bodensee bis zur Nordsee mehrere 
Wochen auf der Reise war und ungefähr 3 Mark kostete, gelangt er jetzt mit Hilfe 
der Eisenbahn in 1 Tag um 10 Pfennig an seinen Bestimmungsort. Die Erzeugnisse 
der Industrie und die Produkte der Landwirtschaft können durch Eisenbahnen und 
Dampfschiffe viel rascher und wohlfeiler, als dies früher der Fall war, von einem 
Land ins andere, ja von einem Erdteil in den andern befördert werden. Der ge¬ 
steigerte Verkehr brachte auch eine engere Verbindung der getrennten Völker zustande; 
man lernte sich gegenseitig besser kennen und verstehen. Insbesondere waren es ja 
wirtschaftliche Fragen, welche die zersplitterten deutschen Stämme zuerst zusammen¬ 
geführt haben. Mit dem Verkehr wuchs dann auch die Kultur; die Durchforschung 
der unbekannten Gebiete in Südamerika, in Australien und in Afrika machte von 
der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts an ungeahnte Fortschritte. 
Erstaunlicher noch als die Wunder, welche der „Sieger Dampf" voll¬ 
bringt, sind die Wunder der Elektrizität. Was derselben ihre hervorragende 
Bedeutung verleiht, das ist einerseits ihre blitzschnelle Fortpflanzung in den 
Metalldrähten und anderseits die ungeheure Kraft, die ein genügend starker 
Strom erzeugt. Im öffentlichen und privaten Leben, im Handels- und 
im Verkehrswesen, in militärischen und politischen Angelegenheiten dient der 
Telegraph als der schnellste Überbringer einer Nachricht. In kaum einer 
Stunde kann um die ganze Erde telegraphiert werden. Die erste größere 
Telegraphenlinie auf dem Festland von Europa baute der Berliner Werner 
Siemens im Jahre 1849 zwischen Berlin und Frankfurt a. M.
	        
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