Full text: Lehr- und Lesebuch oder die Vaterlands- und Weltkunde

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Er ruft den blut'gen Löwen an 
Mit donnerreicher Stimme; 
Der stürzt auf ihn mit Wuth heran 
Und brüllt vor wildem Grimme. 
Und alles Volk sieht es mit Graus, 
Pipin nur ohne Grausen. 
Sein gutes Schwert zur Scheid' heraus, 
Läßt's durch die Lüste sausen. 
Und schlägt den Löwen in den Bart, 
Daß todt er niederstürzet. 
Das war ein Schlag nach Heldenart, 
Mit Heldenkraft gewürzet! 
Nun rafft der wilde Ur sich auf, 
Den neuen Feind er wittert, 
Und rennt heran mit vollem Lauf, 
Daß Schrank' und Boden zittert. 
Doch unser Held steht mauerfest 
Und wankt nicht von der Stelle: 
-Das Schwert er wieder sausen läßt 
Und schwingt's mit Blitzesschnelle. 
Und trifft den Schnaubenden so gut 
Dicht an des Nackens Rande — 
Da spritzt zum Himmel schwarzes Blut, 
Das Haupt stürzt hin zum Sande. 
„Wie nun, ihr großen Recken ihr, 
Was dünkt euch von dem Kleinen? 
Mag nun der Held im Kampfrevier 
Euch groß genug erscheinen?" — 
Es stehn beschämt die Spötter werth 
Gesenkt die stolzen Blicke; 
Pipin steckt ein sein gutes Schwert, 
Dann tritt er schnell zurücke. 
Des Volkes Jubel aber füllt 
Ringsum die weiten Schranken, 
Empor ihn hebend auf dem Schild 
Zeigt ihn der Frank dem Franken. 
Als König grüßt ihn alle Welt, 
Die Spötter müssen schweigen 
Und ihm, der Leu und Ur gefällt, 
Demüthiglich sich neigen. 
lBaur.) 
8. Karl der Große. 
(Geb. 742, gest. 814 zu Aachen.) 
Des tüchtigen Pipin eben so tüchtiger, aber noch weit berühmterer 
Sohn war Karl der Große. Im Jahre 768 folgte er seinem Vater 
in der Regierung. Man nannte ihn Karl den Großen, weil er im 
Frieden und im Kriege sich als ein Mann von hohen Geistesfähigkeiten 
bewies, und seine Völker zu bessern, verständigern und glücklichern Men¬ 
schen zu machen suchte. Rohe, unwissende Menschen waren ihm zuwider. 
Er ließ daher eine Menge Schulen anlegen, vor allem eine Hofschule 
für die Kinder seiner Edelleute und Hofbedienten, erschien auch mehr¬ 
mals unvermuthet selbst mitten unter den Schülern, um mit eigenen 
Augen zu sehen, wie es bei dem Unterricht herging. Einst fand er bei 
einem solchen Schulbesuch, daß die Söhne der Edelleute und Vornehmen 
den Bürgerkindern an Fleiß und Fortschritten weit nachstanden. Diese 
mußten sich zu seiner Rechten, jene aber zu seiner Linken stellen. Dann 
sagte er zu den armen, aber fleißigen Kindern: „Ich danke euch, meine 
Kinder, ihr habet ganz meinen Wünschen entsprochen, euch zur Ehre 
und zum bleibenden Gewinn." Zürnend wandte er sich hierauf an die 
vornehmen, aber trägen Kinder mit den drohenden Worten: „Ihr aber, 
ihr Söhne der Edelen, ihr feinen Püppchen, die Ihr euch der Träg¬ 
heit und dem Müßiggänge überließet und meinen Befehlen ungehorsam 
gewesen seid, trotzet nur nicht auf Stand und Reichthum eurer Eltern, 
denn wisset, Nichtswürdige haben vor mir weder Rang noch Ehre. 
Und werdet ihr nicht fleißige Schüler, so soll keiner von euch mir 
wieder vor meine Augen kommen. Beim Könige des Himmels, ich 
werde euch strafen, wie ihr es verdient." — 
Karl der Große war ein eifriger Beförderer des Christenthums.
	        
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