VIII. Das Bergland der rechten Oderseite. 101
Bretter- und Staketzäune gebildet werden, die Gehöfte, überschattet von Pappeln,
Linden, Weiden und Ebereschen. Ein breites Tor und ein schmales Türchen
führen in das Gehöft, das ans Wohnhaus, Stallungen, Scheuern und Schuppen
besteht. Die Gebäude sind fast ausschließlich aus Holz und Stroh aufge¬
führt. Das Wohngebäude ist niedrig; die Wohnstube weist nur wenige kleine
Fenster ans. Einen einfachen Schmuck bilden die an Pflocken ausgehängten
oder aus Borden aufgestellten Teller, Töpfe und Krüge, die ebenso wie die
riesige Bettstatt, die Schränke, Tische, Stühle und Truhen bunt bemalt sind.
Wie die Hauptwohnräume, so sind auch die Kammern meist zwar eng uitb
einfach ausgerüstet, aber doch sauber und ordentlich. Die Bewohner dieser
Gegenden stammen meist in ununterbrochener Ahnenreihe don denjenigen Polen
ab, die einst mit den Piasten nach Schlesien kamen, und sind noch jetzt Polen
nach Sprache, Gesittung und Gesichtsbildung. Aber in politischer Beziehung
sind die Mehrzahl unter ihnen meist königstreue Preußen und gute Soldaten.
Alle sind sehr kirchlich gesinnt. Davon legen die zahlreichen und stattlichen
Kirchenbauteu Zeugnis ab, sowohl die steinernen, vielfach zweitürmigen der Neu¬
zeit als auch die uralten Schrotholzkirchen. Diese Oberschlesier lieben den Gesang
und ziehen die Lieder in Moll vor. Unter ihnen entstanden noch vor Jahren
echte Volkslieder. Ihre Sprache, „Wasserpolnisch" genannt, hat eine Menge
deutscher und anderer Fremdwörter aufgenommen und mit polnischen En¬
dlingen versehen (z. B. Bana, Caitungi). Unter den oberschlesischen Polen
gibt es noch besondere Volkstrachten, z. B. in der Umgebung von Pleß.
Männer und Frauen gehen hier gern in Hemdsärmeln umher, selbst in der
Kirche; das Oberkleid der Männer ist ein dunkelblauer Tuchmantel, das
der Frauen ein dunkelgrünes Umschlagetuch. Alle Männer tragen ganz
kurze Jacken mit glänzenden Knöpfen, schwarze oder weiße Lederhosen, ein
buntes Halstuch nnb einen runden, breitkrempigen Filzhut; die Frauen sind
mit kurzen einfarbigen Leibchen und einem einfarbigen Tnchrock bekleidet,
den ein buntes Band ziert und eine breite, sehr lange Schürze bedeckt. In
konfessionell gemischten Gegenden hat nicht nur jede Konfession ihre Tracht,
sondern auch besondere Vor-, ja sogar Zunamen. Schattenseiten dieses Volks¬
stammes sind Leichtlebigkeit, Aberglaube, Unterwürfigkeit, hier und da mangelnder
Respekt vor fremdem Eigentum, Hang zum Schnapstrinken, Prozessieren und
Schmuggeln. Manche dieser Charakterfehler haben ihren Grund darin, daß
dieser Bevölkerung jahrhundertelang jeder feste und gesicherte freie Grundbesitz
mangelte und sogar die persönliche Freiheit und Sicherheit fehlte. — Schule
und Militärdienst haben schon vielfach das polnische Wesen zurückgedrängt und
das Deutschtum auch unter diesen Polen ausgebreitet. (S. S. 157 f.) Die
Städte dieses Gebietes, ja auch einzelne große Dorfschasten sind fast ganz deutsch
in Sprache und Sitte. Sv liegt z. B. eine Meile südlich von Gleiwitz mitten
in polnischem Sprachgebiet das große Dorf Schönwald, das seinen deutschen
Charakter treu bewahrt hat. Allerdings ist der Dialekt der Bewohner stark
mit polnischen Wörtern vermischt. — Ähnlich steht es mit der Gemeinde Anhalt
in der Nähe der Przemsa, die dadurch entstand, daß der Fürst von Anhalt-
Köthen-Pleß 1770 hier deutsche Reformierte aus Galizien ansiedelte, die wegen
ihres Glaubens aus Österreich auswanderten.
Die Bodenschätze des südöstlichen Oberschlesien werden vielfach ausgebeutet
und verarbeitet.