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Das Wirtschaftsleben
Mitglieder gegenüber den städtischen Grundherren, zur gegenseitigen
wirtschaftlichen Unterstützung, zur Aufrechterhaltung der Ordnung
und zur Pflege der Geselligkeit. Unstreitig haben sie in ihrer Blüte¬
zeit, welche in das 14. und 15. Jahrhundert fiel, das Gewerbe-
mächtig gefördert. Allmählich aber verknöcherten sie und mißbrauch¬
ten ihre Macht. Je mehr die innere Zerklüftung des Reichs, die
Mehrung der Zollschranken, die inneren Kriege, besonders der dreißig¬
jährige Krieg, eine Verarmung des Volkes herbeiführte, desto mehr
suchten die Zünfte das Einkommen ihrer Mitglieder zu sichern und
jede Konkurrenz fernzuhalten durch Ausbildung des Zunftzwanges,
dtrrch übermäßige Ausdehnung des Lehrganges und Verteuerung des
Meisterwerkes, durch Erschwerung der Niederlassung und durch Aus¬
dehnung der sog. Zwangs- und Vannrechte, vermöge deren die Ein¬
wohner bestimmter Bezirke oder einzelne Klassen derselben ver¬
pflichtet waren, ihre Bedürfnisse bei den Zunftmitgliedern zu decken.
33 Jeder Fortschritt im Handwerk wurde gehemmt und besonders die An¬
wendung neuer Erfindungen wurde verhindert, indem die Zünfte ge¬
naue und bindende Vorschriften über die technische Handhabung der
einzelnen Gewerbebetriebe erließen. Ebenso stemmten sie sich selbstver¬
ständlich der Ausbildung des Fabrikbetriebes entgegen. Vergebens! Die
großen Erfindungen des vergangenen Jahrhunderts führten durch die
neuen Maschinen eine völlige Umgestaltung der Technik des Gewerbe¬
betriebs herbei und gaben den Anstoß zu den wirtschaftlichen und
sozialen Umgestaltungen unserer Zeit, unter deren Druck auch die
Fesseln des alten Zunftwesens zersprangen. An die Stelle des Zunft¬
zwanges trat in Deutschland im Laufe des vorigen Jahrhunderts
der Grundsatz der Gewerbefreiheit, welcher mit den
nötigen Einschränkungen auch unsere heutige Gewerbegesetzgebung
noch beherrscht.
Zl Die wirtschaftlichen Umwälzungen der neuesten Zeit haben das
Handwerk aus manchen Gebieten des gewerblichen Lebens verdrängt4
und zwei neue Betriebssysteme ausgebildet, die sog. Hausindu¬
strie und den Fabrik betrieb.
Bei der Hausindustrie arbeiten die sog. Heimarbeiter im
wesentlichen auf dieselbe Weise wie die Handwerker, aber nicht auf
eigene Rechnung, sondern für einen Unternehmer (auch „Verleger"
genannt), der ihnen zumeist die Rohstoffe und Muster, häufig auch die
nötigen Maschinen und Werkzeuge liefert und die fertige Ware nach
dem Stück bezahlt. So wird die Uhrenfabrikation, die Strohflech-
* Dagegen wird das Handwerk auf den Gebieten, welche es jetzt noch
inne hat, sich wohl im wesentlichen behaupten und auch künftig bei fleißiger
Ausübung und Verwendung der von der heutigen Technik gebotenen Hilfs¬
mittel ausreichenden Erwerb sichern.