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von Grenoble über Chambéry bis hart an den Fuß des kleinen St.
Bernhard, d. h. der Hochalpenkette sich hinzieht und unter allen
Alpenthälern das breiteste, fruchtbarste und bevölkertste ist. Es ist
ferner der Weg über den kleinen Bernhard unter allen natürlichen
Alpenpassagen zwar nicht die niedrigste, aber bei weitem die bequemste;
obwohl dort keine Kunststraße angelegt ist, überschritt auf ihr noch
im I. 1815 ein östreichisches Korps mit Artillerie die Alpen.
Dieser Weg, der bloß über zwei Bergkämme führt, ist endlich von
den ältesten Zeiten an die große Heerstraße aus dem Kelten- ins
italische Land gewesen. Die karthagische Armee hatte also in der
That keine Wahl; es war ein glückliches Zusammentreffen, aber kein
bestimmendes Motiv für Hannibal, daß die ihn: verbündeten kelti¬
schen Stämme in Italien bis an den kleinen Bernhard wohnten,
während ihn der Weg über den Mont Genövre zunächst in das Ge¬
biet der Tauriner geführt haben würde, die seit alten Zeiten mit
den Jnsubrern in Fehde lagen.
5. So marschirte das karthagische Heer zunächst an der Rhone
hinauf gegen das Thal der obern Isère zu, nicht, wie man ver¬
muthen könnte, auf dem nächsten Weg, an dem linken Ufer der
untern Isère hinauf von Valence nach Grenoble, sondern durch die
„Insel" der Allobrogen, die reiche und damals schon dichtbevölkerte
Niederung, die nördlich und westlich von der Rhone, südlich von der
Isère, östlich von den Alpen umfaßt wird. Es geschah dies wieder
deßhalb, weil die nächste Straße durch ein unwegsames und armes
Bergland geführt hätte, während die Insel eben und äußerst frucht¬
bar ist und nur eine einfache Bergwand sie von dem obern Jsère-
thal scheidet. Der Marsch an der Rhone hin und quer durch die
Insel bis an den Fuß der Alpenwand war in sechzehn Tagen vollen¬
det; er bot geringe Schwierigkeit und auf der Insel selbst wußte
Hannibal durch geschickte Benutzung einer zwischen zwei allobrogischen
Häuptlingen ausgebrochenen Fehde sich einen der bedeutendsten der¬
selben so zu verpflichten, daß derselbe den Karthagern nicht bloß
durch die ganze Ebene das Geleit gab, sondern auch ihnen die Vor-
räthe ergänzte und die Soldaten mit Waffen, Kleidung und Schuh¬
zeug versah. Allein an dem Übergang über die erste Alpenkette, die
steil und wandartig emporsteigt, und über die nur ein einziger gang¬
barer Pfad (über den Mont du Chat beim Dorfe Chevelu) führt,
märe fast der Zug gescheitert. Die allobrogische Bevölkerung hatte
den Paß stark besetzt. Hannibal erfuhr es früh genug, um einem