Full text: Lesebuch für höhere Bildungsanstalten (4)

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beginnt, so fiel das Weib dem schwarzen Köhler wüthig in den Bart, ballte die 
kräftige Faust und rief: „Ungethum, das Mutterherz mußt Du mir erst aus dem 
Leibe reißen, ehe Du mir mein Kind raubest!" Eines so muthvollen Angriffs 
hatte sich Rübezahl nicht versehen, er wich gleichsam schüchtern zurück; dergleichen 
handfeste Erfahrung in der Menschenkunde war ihm noch nie vorgekommen. Er 
lächelte das Weib freundlich an: „„Entrüste Dich nicht; ich bin kein Menschen¬ 
fresser, wie Du wähnest, will Dir und Deinen Kindern auch kein Leids thun; 
aber laß mir den Knaben; der Schreier gefällt mir, ich will ihn halten, wie 
einen Junker, will ihn in Sammet und Seide kleiden und einen wackern Kerl aus 
ihm ziehen, der Vater und Brüder einst nähren soll. Fordere hundert Schrecken¬ 
berger, ich zahle sie Dir."" 
„Ha!" lachte das rasche Weib, „gefällt Euch der Junge? Ja, das ist ein 
Junge, wie'n Daus, der wäre mir nicht um aller Welt Schätze seil. 
„ „Thörin," " versetzte Rübezahl, „ „hast Du nicht noch drei Kinder, dieDir Last 
und Ueberdruß machen? Mußt sie kümmerlich nähren und Dich mit ihnen placken 
Tag und Nacht."" 
Das Weib: Wohl wahr, aber dafür bin ich Mutter, muß thun, was meines 
Berufs ist. Kinder machen Ueberlast, aber auch manche Freude. 
Der Geist: Schöne Freude, sich mit den Bälgen tagtäglich zu schleppen, 
sie zu gängeln, zu säubern, ihre Unart und Geschrei zu ertragen. 
Sie: Wahrlich, Herr, Ihr kennt die Mutterfreuden wenig. Alle Arbeit 
und Mühe versüßt ein einziger freundlicher Anblick, das holde Lächeln und Lallen 
der kleinen unschuldigen Würmer. Seht mir nur den Goldjungen da: wie er an 
mir hängt, der kleine Schmeichler! Nun ist er's nicht gewesen, der geschrieen 
hat. Ach, hätte ich doch hundert Hände, die euch heben und tragen und^für euch 
arbeiten könnten, ihr lieben Kleinen! 
Der Geist: So! Hat denn Dein Mann keine Hände, die arbeiten können? 
Sie: O ja, die hat er; er rührt sie auck, und ich fühl's zuweilen. 
Der Geist (aufgebracht): Wie? Dein Mann erkühnt sich, die Hand gegen 
Dich aufzuheben? Gegen solch ein Weib? Das Genick will ich ihm brechen, 
dem Mörder! 
Sie (lachend): Da hättet ihr traun viel Hälse zu brechen, wenn alle Männer 
mit dem Halse büßen sollten, die sich an der Frau vergreisen. 
Der Geist: Was treibt Dein Mann für ein Gewerbe? 
Sie: Er ist ein Glashändler, muß sich feinen Erwerb auch lassen sauer 
werden. Schleppt der arme Tropf die schwere Bürde aus Böhmen herüber, Jahr 
aus, Jahr ein; wenn ihm nun unterwegs ein Glas zerbricht, muß ich's und die 
armen Kinder freilich entgelten; aber Liebesschläge thun nicht weh. 
Der Geist: Du kannst den Mann noch lieben, der Dir so übel mitspielt? 
Sie: Warum nicht lieben? Ist er nicht der Vater meiner Kinder? Die 
werden Alles gut machen und uns wohl lohnen, wenn sie groß sind. 
Der Geist: Leidiger Trost! die Kinder danken auch der Aeltern Müh 
und Sorgen! Die Jungen werden Dir den letzten Heller aus dem Schweißtuche 
pressen, wenn sie der Kaiser zum Heere schickt ins ferne Ungarland, daß die Türken 
sie erschlagen. 
Das Weib: Ei nun, das kümmert mich auch nicht; werden sie erschlagen, 
so sterben sie für den Kaiser und das Vaterland in ihrem Berufe, können aber 
auch Beute machen und der alten Aeltern pflegen. 
Hieraus erneuerte der Geist den Knabenhandel nochmals, doch das Weib 
würdigte ihn keiner Antwort, raffte das Laub in den Korb, band oben drauf den
	        
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