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30. „Das hab' ich wohl erfahren/' sprach die schöne Maid, 
„Es kam ein fremd Gesinde hieher vor langer Zeit; 
Nach starker Heerfahrt brachte man sie zu diesen Neichen. 
Den geraubten Frauen sah man das Antlitz großen Jammer bleichen." 
31. Sie sprach: „Die ihr da suchet, die hab' ich wohl gesehn, 
In großen Mühsalen, das will ich euch gestehn." 
Sie war der Mädchen eine, die da Hartmuth brachte; 
Ja Gudrun war sie selber, daher sie dieser Dinge wohl gedachte. 
32. Da sprach König Herwig: „Nun seht, Herr Ortewein: 
Sollt' eure Schwester Gudrun noch am Leben sein 
In irgend einem Lande von allen Erdenreichen, 
So schwür' ich, diese wär' es; niemals sah ich ihr ein Weib so gleichen." 
33. Da sprach König Ortwein: „Sie ist gar minniglich; 
Jedoch mit meiner Schwester nicht vergleicht sie sich. 
Aus unser beider Jugend gedenk' ich wohl der stunde, 
Da hätte man auf Erden kein so schönes Mägdelein gefunden." 
34. Da er ihn also nannte, der kühne junge Mann, 
Mit seinem Namen Ortwein, da sah ihn wieder an 
Gudrun die arme: ob es ihr Bruder wäre, 
Das wüßte sie so gerne; so würd' erleichtert ihres Herzens Schwere. 
35. Sie sprach: „Wie ihr auch heißet, ihr seid untadelig. 
Einem, den ich kannte, gleicht ihr seltsamlich; 
Er war geheißen Herwig, und war von L-eelanden; 
Wenn der Held noch lebte, so löst' er uns aus diesen streugenBanden. 
36. „Ich bin auch ihrer Eine, die mit Hartmuth's Heer 
Im Streit gefangen wurden und gesühret über Meer. 
Ihr suchet Gudrunen: das thut ihr ohne Noth, 
Die Magd von Hegelingen, fand vor großem Leid den Tod." 
37. Da thränten Ortweinen seine Augen licht; 
Die Kunde ließ auch Herwig unbeweinet nicht. 
Als sie das vernahmen, daß gestorben wäre 
Die Magd von Hegelingen, das belud ihr Herz mit großer Schwere. 
38. Als sie die Helden beide vor ihr weinen sah, 
Die geraubte Jungfrau sprach zu ihnen da: 
„Ihr gehabt euch also bei dieser Trauermäre, 
Als ob die edle Gudrun euch verwandt, ihr guten Helden, wäre." 
39. Da sprach der König Herwig: „Wohl traur' ich um die Maid; 
Sie ist mein Weib gewesen auf alle Lebenszeit. 
Sie war mir zugeschworen mit Eiden fest und [täten; 
Nun hab' ich sie verloren durch des alten Ludwigs grimme Räthe." 
40. „Ihr wollt mich betrügen," sprach die arme Magd, 
„Von Herwigens Tode ward mir oft gesagt. 
Die höchste Bonn' auf Erden sollt' ich in ihm gewinnen; 
Wär' der noch am Leben, so hätt' er längst mich geführt von hinnen."
	        
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