Der Humanismus und die Entdeckungen.
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seinem 1439 vollendeten Turme damals das höchste Gebäude der Christen-
heit; hier wirkte der hervorragendste Prediger seiner Zeit, Geiler von
Kaysersberg, und lebte der Dichter des „Narrenschiffs", Sebastian
Brant. Wenig später als das Straßburger wurde das Freiburger Münster
vollendet (1513). Insbesondere erhob sich in Nürnberg auf der Grundlage
gesicherten Wohlstandes das Bürgertum zu stolzer Höhe. Eine ansehnliche
Zahl Großes schaffender Meister wirkte auf den verschiedensten Gebieten der
Künste und Wissenschaften. Die Bildhauer Adam Kraft und Veit Stoß
und der Erzgießer Peter Bischer schufen ihre Werke; neben dem See-
fahrer und Kosmographen Martin Behaim wirkte als einflußreicher Wort¬
führer des Humanismus Wilibald Pirckheimer, ein erfolgreicher För¬
derer des Nürnberger Schulwesens. Mit Kaiser Maximilian zusammen
dichtete hier Geheimschreiber Melchior Psintzing den „Teuerdank". Aber
Nürnberg hatte auch einen echten Dichter in seinen Mauern. Ein vorurteils¬
freier Mensch von tiefem Gemüt, überlegener Einsicht und Menschenkenntnis,
dazu von warmem Patriotismus und aus wahrer Religiosität ein begeisterter
Anhänger und freudiger Förderer der Reformation, steht Hans Sachs (1494
bis 1576) hoch über den andern Meistersingern seiner Zeit. Meist sind es
Flugblätter, die sich schnell im Volke verbreiteten und dadurch um so mehr
zur Volksbildung beitrugen. Ernst und Scherz, Kampfgespräche und Schwanke,
Kirchenlieder und Kriegslieder, Psalmen, Predigten und Fabeln in einer kaum
glaublichen Zahl. Einfach, kernig, grob ist seine Art. Und ebenso kernig
und ebenso urdeutsch ist des deutschen Volkes größter Maler Alb recht Dürer
(1471—1528), der mit unvergleichlicher Gedankenfülle und nie übertroffener
Schöpferkraft feine Gemälde, Kupferstiche und Holzschnitte schuf, dazu be-
deutende wissenschaftliche Werfe, z. B. über den Festungsbau und geometri¬
schen Inhalts. Wie Hans Sachsens Flugblätter wirkten vor allem Dürers
billig zu kaufende und daher schnell verbreitete Stiche und Holzschnitte
bildend auf das Bürgertum ein, auf das die Reformation einen tiefgreifenden
Einfluß ausübte. Und wenig jünger als Dürer war Hans Holbein d. I.
ans Augsburg (1497—1543), der lange Zeit in Basel wirkte, der einzige
deutsche Maler und Zeichner, der in seinen durch den Einfluß der Renaissance
gefälligeren Werken Dürers Größe den Rang streitig machen könnte. Weiter
waren in Südwestdeutschland Schongauer, Matthias Grünewald und
Hans Baldung Grien von Bedeutung.
Namentlich in den Städten genossen die neu auskommenden humanistischen
Studien Pflege und Förderung; neben den lateinischen fanden die griechischen
Dichter und Denker Verbreitung unter den Gebildeten. Unter dem Einfluß der
Reformation wurden vielfach Schulen gegründet, unter denen sich die Schlett-
städter auszeichnete; aus ihr gingen Männer wie Wimpheling, Beatus
Rhenanus und Bucer hervor; Universitäten entstanden, neben den älteren
in Wien, Heidelberg (1386) z. B. in Freiburg (1457), in Tübingen
(1477) und in Wittenberg (1502). Im 15. Jahrhundert hatte Johann
Gutenberg die Buchdruckerkunst in Straßburg erfunden, die er später in feiner
Vaterstadt Mainz vervollkommnete. Die junge Kunst fand vor allem in den Städten
eine Heimat, sie wurde nicht nur angewendet, um die Heilige Schrift oder ge-
lehrte Werke zu vervielfältigen, sondern diente bald auch dem Streit des Tages.
Neben dem Bürger trat der Ritter auf seinem einsamen Schlosse noch
mehr als bisher in den Hintergrund. Das Gefühl bemächtigte sich seiner,
Pfeifer. Geschichte. Y. (S.-W.-D.) 12