Full text: Sieben Bücher deutscher Dichtungen

I. Älterer Zeitabschnitt (1740 —1800). 
J41 
Auch Menschen, die nach Schätzen 
trachten, 
Sind stumm und grämlich, wenn man 
singt: 
Sie pflegen alles zu verachten, 
Was nicht wie Gold und Silber klingt. 
Doch wer zu seinen Lebensschützen 
Den Frohsinn und die Freude macht, 
Den wird gewiß ein Lied ergötzen. 
Hat er sein Tagewerk vollbracht. 
A. F. E. Langbein. 
Das blinde Noß. 
„Was ragt dort für ein Glockenhaus 
Im Ring des Markts hervor? 
Den Flug des Windes ein und aus 
Hemmt weoer Thür noch Thor; 
Tritt Volkslust oder Schrecken ein, 
Wenn diese Glocke schallt? 
Und was besagt das Bild von Stein 
In hoher Roßgestalt?" — 
Ihr seid der erste Fremdling nicht, 
Der nach den Dingen fragt. 
Was unsre Chronik davon spricht, 
Sei willig Euch gesagt. 
Des Undanks Rügenglocke heißt 
Das edle Altertum, 
Und unsrer wackern Väter Geist 
Umschwebt es noch mit Ruhm. 
Undank war schon zu ihrer Zeit 
Der schnöde Lohn der Welt; 
Drum hat der Alten Biederkeit 
Dies Schrecknis aufgestellt. 
Wer jener Schlange Stich empfand. 
Dem war die Macht verliehn. 
Er konnte stracks mit eigner Hand 
Die Rügenglocke ziehn. 
Da kam, wenn'sauchbeiRachtgeschah, 
Die Obrigkeit herbei 
Und fragt' und forschte, hört' und sah, 
Was hier zu schlichten sei. 
Da galt nicht Rang, da galt nicht Gold, 
Mocht's Herr sein oder Knecht: 
Die Richter sprachen, ohne Sold, 
Für jeden gleiches Recht. 
Es sind wohl hundert Jahre her, 
Da lebte hier ein Mann, 
Der durch geschäftigen Verkehr 
Viel Hab' und Gut gewann. 
Von Reichtum zeugte seine Tracht, 
Sein Keller und sein Herd; 
Auch hielt er fick zur Lust und Pracht 
Ein wunderschönes Pferd. 
Einst ritt er in der Dämmerung: 
Da stürzten aus dem Hain 
Mit Mordgeschrei und Tigersprung 
Sechs Räuber auf ihn ein. 
Sein Leben, um und um bedräut, 
Hing nur an einem Haar: 
Doch seines Rosses Schnelligkeit 
Entriß ihn der Gefahr. 
Es brachte, hoch mit Schaum bedeckt, 
Ihn wundenfrei nach Haus. 
Er breitete, zum Dank erweckt. 
Des Pferdes Tugend aus. 
Er that ein heiliges Gelübd'; 
„Mein Schimmel soll fortan 
Den besten Hafer, den es giebt. 
Bis an den Tod empfah'n." 
Allein das gute Tier ward krank, 
Ward steif und lahm und blind; 
Und den ihm angelobten Dank 
Vergaß sein Herr geschwind. 
Er bot es feil und ward nicht rot. 
Und jagt' es Knall und Fall, 
Weil niemand einen Heller bot. 
Mit Schlägen aus dem Stall. 
Es harrte sieben Stunden lang 
Gesenkten Haupt's am Thor, 
Und wenn ein Tritt im Hause klang, 
So spitzt' es froh das Ohr. 
Doch glänzte schon der Sterne Pracht 
Und niemand rief's hinein, 
Und es durchschlief die kalte Nacht 
Auf eisigem Gestein. 
Und noch am andern Tage blieb 
Der arme Gaul dort stehn, 
Bis ihn des Hungers Stachel trieb, 
Nach Nahrung fortzugehn. 
Die Sonne strahlte hell, doch ihn 
Umhüllte Finsternis. 
Und er, der sonst geflügelt schien, 
Ging sacht und ungewiß. 
Er hob und schob vor jedem Tritt 
Den rechten Fuß voran 
Und prüfte tastend, Schritt vor Schritt, 
Die Sicherheit der Bahn.
	        
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