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„Der Bildhauer des Hadrian", „Die Sehnsucht des Weltweisen", „Omar"
und eine Reihe anderer Dichtungen, in denen Geibel das tiefere Leben
seines Geistes in poetisch-historischen Gleichnissen offenbart, tragen ein Ge¬
präge des Bleibenden, Unvergänglichen so gut wie die schönsten lyrischen
Gedichte des Poeten, zu denen sich vereinzelte Nachklänge noch in seinen „Spät-
herbstblättern" finden.
Uls Dramatiker versuchte sich Geibel mit der Uomödie „Meister Undrea",
die nach einer altitalienischen Novelle bearbeitet wurde und einen tollen
Schwank wiedergibt, indem übermütige Gesellen den vortrefflichen, aber dicken
und geistig schwerfälligen Bildschnitzer Undrea glauben machen, daß er ein
völlig anderer, daß er sogar ein Meister der ihm verhaßten Tonkunst sei,
dabei aber gewaltig den kürzeren ziehen und einer schlecht bevormundeten
Schönheit zum Besitz ihres Geliebten verhelfen. Der Ton des derben Schwanks
wurde hier allzusehr ins Feine, ins Nünstlertum des Sammetrocks um¬
gewandelt, um die volle Wirkung zu tun. Nls Tragödiendichter schuf Geibel,
außer einem ziemlich unreifen und von ihm selbst aus der Gesamtausgabe
seiner Dichtungen ausgeschlossenen Trauerspiel „Bönig Noderich", die beiden
Tragödien „Brunhild" und „Zophonisbe". Im Gegensatz zu Hebbel, der
mit dem alten Stoffe auch die Wunder der Sage, die urwüchsigen Gestalten,
in denen Naturmächte verkörpert wurden, und das Niesenmäßige und Über¬
gewaltige der miteinander ringenden Leidenschaften in seine dramatische
Gestaltung hinübernahm, suchte Geibel in seiner „Brunhild" den Stoff der
modernen Empfindung anzunähern und die rein psychologischen Nonflikte
au,s dem Zusammenhange des Ganzen zu lösen. Tr rückt darum die Vor¬
geschichte Siegfrieds wie Brunhilds in den Hintergrund der Vergangenheit,
läßt sein Drama am Morgen nach der Doppelhochzeit Günthers und Sieg¬
frieds anheben und führt es über die frevelvolle nächtliche Besiegung Brun¬
hilds durch Siegfried an Günthers Statt, über die Verstrickung, die aus
Brunhilds geheimer Liebe zu Siegfried, aus Hägens armseligem haß und
dem verhängnisvollen Streit der königlichen Frauen erwächst, bis zu Sieg¬
frieds Ermordung und zu dem in seinem Sinne richtigen Ende,
dem Selbstmord Brunhilds an der Leiche Siegfrieds. Liebe und
haß, Zorn und Eifersucht, die großen bewegenden Leidenschaften
der Sage und des Liedes, fehlen natürlich auch in dieser dramatischen
Gestaltung nicht, aber sie erscheinen viel zu abgedämpft, zu weich - das schönste
Motiv von Hägens Groll und Ingrimm gegen Siegfried, die blinde Treue
für das Nönigshaus, dem er dient, tritt bedenklich hinter selbstische Ge¬
hässigkeit zurück,- die eherne Starrheit der Gestalten und Situationen, gegen
die sich die moderne Empfindung freilich sträubt, ist allzusehr gemildert und
der kühleren Auffassung, der Verständigkeit des heutigen Geschlechts bedenk¬
lich angenähert, ohne darum Fleisch von dessen Fleisch zu werden, der
dämonisch gewaltige Zug, aber auch die heldenhafte und herbe Zugend-
Schönfelder,"Literaturgeschichtliches Lesebuch. 9