Full text: Viertes, fünftes und sechstes Schuljahr (Teil 2)

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Nach der Seite hin, von welcher der Fahrweg zur Grube führt, verflacht 
sie sich allmählich und gestattet den Wagen eine bequeme Ein- und Ausfahrt. 
Die gegenüberliegende Seite dagegen fällt haushoch steil ab und zeigt uns 
die Schichten des goldgelben dieses, der hier gegraben wird. 
2. Die senkrechte Wand ähnelt einem riesigen Buche. Wir sehen an 
ihr die Kieselgesteine und den Sand in gleichmäßigen, wagerechten Lagen 
übereinander, genau wie die Blätter eines gedruckten Werkes mit gelbem 
Schnitt. Ganz zu oberst liegt eine Schicht Ackererde, kaum zwei Spannen 
dick. Dann folgen die Kiesgeschiebe bis zum Grunde der Grube. Wahr¬ 
scheinlich setzen sie sich aber nach der Tiefe noch ein gut Stück in derselben 
Weise fort. Beim Weitergraben würde man schließlich auch andere Ge¬ 
steine finden, aus denen das ganze Kieslager ruht, wie gelber Zucker in 
einer tönernen Schale. 
3. Für einen Knaben ist die Kiesgrube ein sehr lehrreicher Ort. Hier 
wird der goldfarbige Gartensand gegraben, hier gibt's aber auch wunder¬ 
hübsche Kieselsteine von allen Formen und Größen. Manche sind so dick 
wie eine Faust, andere so klein wie Spitzkugeln und auch so schön rund wie 
diese. Viele Kieselsteine finden sich auch, die flach wie Geldstücke und glatt 
abgerundet sind. Mit ihnen läßt es sich wunderschön werfen. Flach auf 
das Wasser geschleudert, tanzen sie drei-, viermal empor, ehe sie unter¬ 
sinken. 
Auch zu Fangspielen sind solche Kieselsteinchen ganz nett; sie sind 
glatt und schmuck wie poliert. Die einen sehen weiß aus, andere gelb; noch 
andere braun oder schwärzlich. Wer sich ein Vergnügen daraus machen 
wollte, könnte aus ihnen ordentliche Figuren bilden, wenn er sie nach ihrer 
Größe und Farbe zusammenlegte. In der Stadt wirst du sechen, daß die 
Leute die runden Kieselsteine auch wirklich dazu benutzt haben. Die Stein¬ 
setzer haben die hübschesten faustgroßen Stücke ausgelesen und damit die 
Seitenwege der Straßen sowie die Hofräume an den Gebäuden gepflastert. 
Die hellen Steine bilden dann den Grund, und aus dunkeln Kieseln sind 
Buchstaben, Wappen oder sonstige Figuren zwischenein gepflastert. 
4. Du möchtest wissen, wie das Kieslager entstanden sein mag; denn 
es dünkt dir wahrscheinlich, daß die Millionen runder Steinchen von so 
ganz verschiedenem Ansehen nicht von Anbeginn her an dieser Stelle in 
derselben Weise gelegen haben. Ganz genau kann dies freilich niemand 
wissen; denn als das Kieslager entstand, wohnte daselbst kein Mensch; kein 
Landmann pflügte dort, und kein Vater machte mit seinen Kindern hier 
Spaziergänge. 
Allein schon durch aufmerksames Betrachten kann man sich den Her¬ 
gang mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit vorstellen. 
Der Kieselstein ist ein Rollkiesel, ein weitgereister Gesell, der in seinem 
Leben zahllose Stöße und Püffe erhalten hat, ehe er die abgeschliffene
	        
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