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„Ist dies die Mutter, und sind das ihre Kinder?" fragte Leuchen.
„Das kannst du wohl sehen", versetzte Frau Gertrud. „Gib nur acht,
wie ängstlich das Mütterchen hin und her läuft, wenn sich eins
der Kleinen von ihr entfernt!"
Beide setzten sich nun auf den Rasen nieder und hatten ihre
Freude an der lustigen Herde.
2. Plötzlich schoß die Henne ängstlich hin und her und duckte
sich dann mit weitgespreizten Flügeln zur Erde. Eilig kamen auf
ihren dringenden Ruf die Küchlein herbei. Sie aber hörte nicht auf,
zu locken und ängstlich umherzublicken, bis sie alle unter ihren Flügeln
geborgen waren, so daß sie nun einem breiten Zelte gleich schützend
über ihren Kindern saß.
„Was macht die Henne?" fragte Leuchen besorgt. „Siehst du
den schwarzen Punkt dort am Himmel?" antwortete Frau Gertrud.
„Das ist ein Habicht, ein schlimmer Vogel, der die Hühner bedroht.
Die besorgte Henne hat ihn von ferne gesehen. Sieh, wie sie bange
emporschaut, wie ihr Gefieder sich sträubt, und wie sie dennoch ihr
Leben freudig preisgibt, um ihre Kleinen zu retten! Nicht wahr,
das muß eine Mutter sein, denn so können nur Mütter lieben."
Da schmiegte sich Leuchen so dicht an Frau Gertrud, als wäre
sie auch ein Küchlein und befände sich in Gefahr. Der Habicht aber¬
zog glücklich vorüber, und bald kamen die Hühnchen wieder eins
nach dcm andern hervor.
151. In der Hühnerschule.
1. „Gluck, gluck, gluck!" rufts Hühnermütterchen. „Kommt, kommt,
Kinderchen!" will sie sagen, nickt mit dem Kopfe und schwingt sich geschickt
auf einen Johannisbeerstrauch, dessen schlanke Stiele voll reifer, rot
. leuchtender Beeren sitzen. Die Küchelchen, die in einem entlegenen Winkel
des Küchengartens mit dem Suchen von Würmern und mit Spielen be¬
schäftigt sind, haben den Lockruf der Mutter überhört. Nur eins, das
jüngste, ein zitronengelbes Ding, das ganz besonders von der Mutter ge¬
hätschelt wird und darum immer in ihrer Nähe weilt, steht unter dem
Strauche. Es wackelt auf den schwachen Beinen hin und her und wartet