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ist, wie cr erzählt, einmal vormittags fünfzehn mal nach einander gestrichen. Auch ver-
brachte man mit manchen Dingen unnütz die Zeit. Als er vierzehn Jahre alt war,
wurde er nach Magdeburg geschickt, wo er bei den Franziskanern (Nullbrüdern) in
die Schule ging und als armer Currentschüler nach Brot ging (den Brotreigen sang).
Er >ah dort, wie ein Fürst zu Anhalt als Barfüßer mit dem Sack bettelnd durch die
Straßen zog, doch machte es auch ichoit damals einen tiefen Eindruck auf ihn, daß der
alte Graf Günther zu Mansfeld auf seinem Todtenbette sagte: „Er wolle allein des
Verdienstes Christi sich getrösten und ihm seine Seele befehlen." Nach einem Jahre
wandte sich Luther nach Eisenach, wo Joh. Trebonius die Grammatik besonders
gut lehrte und wo Luther von der Verwandtschaft seiner Muiter Unterstützung zu finden
hoffte. Er blieb dort vier Jahre, mußte auch dort anfangs noch sein Brot vor den
Thüren ersingen, fand aber wegen seines andächtigen Singens reichliche Unterstützung
bei der Frau Cotta und zeichnete sich durch Wohlredenheit und in der lateinischen
Poesie bald vor seinen Mitschülern aus.
1501 sandten ihn seine Eltern auf die Universität Erfurt und erhielten ihn dort
von dem Einkommen ihres Berggutes. Er lernte da die spitzfindige Dialektik der Zeit
und studirte die vornehmsten lateinischen Schriftsteller Cicero, Virgilius, Livius u. f. w.
Von seinem Leben in Erfurt erzählt Joh. Matthejuis: i)
Ob er aber wohl von Natur ein hurtiger und fröhlicher junger Ge-
seile war, fing er doch alle Morgen sein Lernen mit herzlichem Gebet und
Kirchengehen an, wie denn dies sein Sprichwort gewesen: Fleißig gebetet
ist über die Hälfte stndirt; verschlief und oersäumte daneben keine Lection,
fragte gern seine Präceptores und besprach sich in Ehrerbietung mit ihnen,
repetirte oftmals mit seinen Gesellen; und wenn man nicht öffentlich las,
hielt er sich allweg auf in der Universität Liberei (Bibliothek). Auf eine Zeit
(er war bereits Baccalaureus), wie er die Bücher fein nach einander bestehet,
auf das er die guten kennen lernet, kommt er über die lateinische Biblia,
die er zuvor die Zeit seines Lebens nie gesehen, da vermerket er mit großem
Verwundern, daß viel mehr Text, Episteln und Evangelien darin wären,
denn man in gemeinen Postillen und in der Kirche auf den Kanzeln
pfleget auszulegen. Wie er im alten Testamente sich umsiehet, kommt er
über Samuelis und seiner Mutter Annä Historia, die durchleset er eilend
mit herzlicher Lust und Freude, und weil ihm dies alles neu war, sähet
er an von Grund seines Herzens zu wünschen, unser getreuer Gott wolle
ihm dermaleins auch ein solch eigen Buch bescheeren, wie ihm dieser
Wunsch und Seufzer reichlich ist wahr worden. — Nicht lange hernach,
wie er allda in eine schwere und gefährliche Krankheit fället, darüber er
sich seines Lebens verziehe, besucht ihn ein alter Priester, der spricht ihm
tröstlich zu: „Mein Baccalauree, seid getrost, ihr werdet dieses Lagers nicht
sterben, unser Gott wird noch einen großen Mann aus euch machen, der
*) Historie von Dr. M. Luther's Anfang, Lehr, Leben und Sterben.
Nürnberg 1565.