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Ich möchte nur wissen, wieviel Haut sie mir heute abgerieben haben; 
ich bin unten ganz durchsichtig geworden. Es ist ein mühevolles 
Leben, wenn man dienen muß!“ 
3. Der Stiefelknecht horcht hoch auf. „Bruder,“ sagt der Stiefel 
vom linken Beine, „das Treten wollt’ ich mir noch gefallen lassen, das 
wird man gewohnt; aber das Rumpeln und Bürsten am Abend oder 
am frühen Morgen, das verdrießt mich am meisten. Ich möchte nur 
wissen, warum wir bei unserm Elend auch noch glänzen sollen. Da 
hass unser Herr, der Schreiber, gut; dort sitzt er bequem und schreibt. 
Wer doch auch ein Schreiber wäre!“ 
„Das meine ich auch!“ seufzte der Stiefelknecht. 
Der Schreiber spritzte seine Feder aus, lehnte sich zurück und 
seufzte: „Gottlob, daß wieder ein Tag vorbei ist! Ein Schreiber 
hat doch das jämmerlichste Leben. Was ist er anders als ein arm¬ 
seliger Federknecht? Da lob’ ich mir’s, wenn man sein eigner Herr 
ist wie mein Amtmann; der arbeitet nur, wenn er Lust hat, und wird 
alle Tage dicker. Ich hab’ die Plackerei und Hungerleiderei satt! Ja, 
wer Amtmann wäre!“ Er zog seufzend die Stiefel an und steckte 
seine Schlappschuhe in die Tasche seines fadenscheinigen Rockes. Da 
trat der Amtmann ein und sagte brummig: „Du kannst gehen! Es ist 
Feierabend! Du weißt gar nicht, wie gut du’s hast!“ „Der höhnt 
auch noch,“ dachte der Schreiber, machte einen ungeschickten Bück¬ 
ling und ging, und die Stiefel knarrten. 
4. Der Amtmann ging in seine Wohnstube zurück; weil er aber 
die Tür offenstehen ließ, konnte der Stiefelknecht alles hören, was 
neben ihm vorging. Der dicke Amtmann brummte im tiefsten Baß: 
„Da läuft er hin! Das Volk hass gut. Nun setzt er sich zu einem 
Glas Bier und schmaucht in aller Ruhe seine Pfeife. Und ich? Bis 
morgen soll die Arbeit fertig sein, da steht’s. Was nur der Minister 
denkt! Immer mehr Arbeit und keinen roten Heller Zulage! Der 
Geier hole den Dienst! Ach, wenn ich doch mein eigner Herr wäre! 
Der Minister hat gut befehlen.“ „Sonderbar!“ dachte der Stiefelknecht, 
„der Dicke klagt auch.“ 
5. Da pochte es. „Herein!“ rief der Amtmann; der Doktor trat 
ein. „Gut, daß Sie kommen,“ sagte der Amtmann, „ich befinde mich 
unwohl und soll und muß nun auch die Nacht hindurch arbeiten. 
0 der Dienst!“ Der Doktor fühlte den Puls und besah die Zunge, 
dann sagte er: „Schlafen Sie, bester Freund! Ihnen fehlt nur Ruhe!“ 
„Schläft sich was!“ brummte der Amtmann. „Doktorchen, Sie haben’s 
gut! Sie sind Ihr eigner Herr!“ Der Doktor hielt sich den Bauch 
vor Lachen und rief: „Ich mein eigner Herr? Aller Welt Diener 
bin ich! Tag und Nacht läßt man mir keine Ruhe! Glauben Sie mir,
	        
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