Full text: [2 (Mittlere Lehrstufe)] (2 (Mittlere Lehrstufe))

134 VI. Kulturgeschichte und geschichtliche Schilderung. 
nahe, und dies mußte der Sklaverei einen viel milderen Charakter geben. 
Römer und Italiener betrachteten sich im Grunde nur als ein Volk, ihre 
Sitten waren nicht wesentlich von einander verschieden, und viele Kriegs¬ 
gefangene wurden entweder freiwillig losgegeben oder von ihren Freunden 
und Verwandten losgekauft. Das Familienleben war in Rom weit edler 
und reiner, als in Griechenland. Es war ganz samnitisch, d. h. ländlich, 
sittsam und mäßig. Die vornehmen Römer wohnten, mit Ausnahme der 
Senatoren, früher meistens auf dem Laude, begaben sich nur vorübergehend 
in die Stadt und kehrten zurück, sobald ihre Geschäfte vollbracht waren. 
Bei dem Vater oder in seiner Nähe wohnten seine Kinder und die diesen 
fast gleichgestellten Klienten. Er war nicht bloß das Haupt, sondern auch 
der Herr und Richter seiner Familie, und der Staat bekümmerte sich nicht 
um das, was im Innern der Familie geschah. Der Vater konnte, ohne 
darüber zur Rechenschaft gezogen zu werden, seine neugebornen Kinder aus¬ 
setzen, er durfte sich das ganze Eigentum der Söhne zueignen, ja, er konnte 
sie sogar dreimal hinter einander als Sklaven verkaufen und war Herr 
über Leben und Tod derselben. Obgleich zuweilen Beispiele von Mi߬ 
brauch der väterlichen Gewalt vorkamen, so waren sie doch selten, und die 
Familienregierung gewährte in den früheren Zeiten den Vorteil, daß man 
leicht Gerichtshof und Gesetzbuch entbehren konnte. Die Gattin des Römers 
hatte, weil Sklavinnen die Hausarbeit verrichteten, mit vielen häuslichen 
Geschäften nichts zu thun, welche bei uns der Hausfrau obliegen. Sie 
war nicht, wie die griechische Frau, vom bürgerlichen Verkehr und vom 
Staatsleben getrennt und auf das Haus und die Familie beschränkt; sie 
blieb auch nicht von der Bildung des männlichen Geschlechts ausgeschlossen, 
und die Geschichte der römischen Kultur zeigt daher auch, zum Unterschied 
von der griechischen Bildung, einen Einfluß der Weiber auf die Ent¬ 
wickelung der Nation. Kurz, die römische Hausfrau hatte eine ehrenhafte 
Stellung, sie war gebildet, sie nahm am geselligen Leben der Männer An¬ 
teil, und eine Ehescheidung blieb, obgleich sie für den Mann sehr leicht zu 
bewerkstelligen war, in der älteren Zeit etwas Unerhörtes. Die Munter¬ 
keit und Lust des Lebens, die wir bei den Griechen gefunden haben, darf 
man bei dem ernsten, derben, vorzugsweise auf das Nützliche und Praktische 
bedachten Volke der Römer nicht erwarten; dafür war dasselbe aber auch 
von jener genialen Leichtfertigkeit frei, die man bei den Griechen überall 
gewahr wird, und die sich selbst unter den Spartanern in der Ausgelassen¬ 
heit der Weiber und in dem losen Bande der Ehe zeigte. Die eigentlich 
nationalen Lustbarkeiten der Römer waren Pferderennen und Kriegsspiele. 
Von den Etruskern, die sich gern an den anstößigen Bewegungen und Ge¬ 
bärden der Mimen und Tänzer belustigten, nahmen die Römer diese Art 
von Unterhaltungen, sowie wahrscheinlich auch die Gladiatorspiele, die 
ihnen jedoch in der Zeit, von welcher hier die Rede ist, noch unbekannt 
waren. Die letzteren paßten freilich zu dem rauhen Charakter des römi¬ 
schen Volkes vortrefflich, sie wurden daher auch, nachdem sie einmal in Rom 
Eingang gefunden hatten, bald in Verbindung mit grausamen Tierhetzen 
die Lieblingsunterhaltung des Volks; doch behauptete sich sowohl hierin,
	        
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