Full text: Zweites Lesebuch für die Oberstufe (Teil 6, [Schülerband])

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E. Bilder aus der Natur. 
schließen sich vor Tagesanbruch wieder. Ihnen ist ein wirksames Anlockungs— 
mittel gegeben in ihrem Duft, der nicht immer ein Wohlgeruch sein muß. 
Auch viele am Tage blühende, farbige Blumen duften; sie besitzen also der 
Genüsse zweierlei, und Gäste der mannigfachsten Art werden sich einfinden 
bei Tag und Nacht. Unscheinbar gefärbte, während der Nachtzeit 
stark duftende Blüten werden von Nachtinsekten besucht. 
Indes muß angenommen werden, daß die Insekten weniger des Duftes 
und der herrlichen Farben wegen die Blumen besuchen, als vielmehr um 
irgend welche Nahrungsstoffe aus ihnen zu gewinnen. Es werden darum 
die Pflanzen am eifrigsten aufgesucht, die den reichsten Gewinn darbieten. 
Man hat da ganz merkwürdige Beobachtungen in großer Menge gemacht, 
die es beweisen, wie die Blumen bevorzugt und geradezu ausgewählt werden, 
die den reichsten Honiggenuß versprechen. Doch ist es nicht nur der Honig, 
den die Insekten als Nahrungsmittel aufsuchen, sondern auch der Blüten— 
staub, den z. B. die Bienen als Futter für die jungen Bienenlarven 
brauchen. Der Blumenhonig (oder Nektar) besteht im wesentlichen aus Zucker 
und Wasser. Er bildet sich in den Blüten im Honigbehälter, der an den 
verschiedenen Teilen der Blume sich befinden kann, z. B. bei der Kaiserkrone 
in den sechs weißen Vertiefungen am Grunde der Blütenblätter, beim 
Veilchen in den Anhängseln zweier Staubblätter, die in den Blütensporn 
hineinragen, bei andern am Griffel u. s. f. 
Damit nun unsre kleinen Näscher den Honigseim in jeder Blume recht 
schnell finden, sind ihnen die Wege genau vorgezeichnet, welche regelmäßig 
zum Honig führen, nämlich die farbigen Zeichen auf den Blumenblättern. 
Saftmale hat man diese Linien und Punkte genannt. Das Tierchen 
kann gar nicht fehlgehen. Aber auf seinem Wege muß es dabei regelmäßig 
die Staubbeutel oder die Narbe berühren und somit höhern Zwecken dienen. 
Ja, damit es nicht rechts oder links von seinem Wege abweiche, stehen oftmals 
an den Blüten Haarbüschel, Bärte, die es gleich Dornhecken nicht seit— 
wärts lassen. 
Alle honigabsondernden Blumen werden von Insekten be— 
fruchtet. Blumen ohne Saftmal — aber mit Honig — blühen zur Nacht— 
zeit auf und werden von nächtlich fliegenden Insekten besucht. 
Der Blütenstaub aller dieser Blumen ist klebrig und haftet darum leicht 
am Insekt, bis dasselbe ihn in einer andern Blüte abgiebt. 
Es giebt noch viele andre Einrichtungen, die darauf hinauslaufen, daß 
die Insektenbestäubung recht sicher ermöglicht wird. Sehr wichtig ist die 
Anordnung, daß Staubblätter und Narbe in derselben Blüte sich meist nach— 
einander entwickeln; auch die Narbe ist oft wunderbar zweckmäßig gebaut. 
R. Waeber.
	        
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