ihre Pflegerin. Diess hat, wie täglich, wenn die Arbeit bis
hierher gediehen ist, still die Hände gefaltet, und auch die Kranke legt
die ihrigen — sie zu falten, ist sie nicht mehr fähig — ineinander.
Sie spricht mit Inbrunst den Morgensegen und das Dankgebet der
Schwester nach und erhält aus deren Händen löffelweise das kräftige
und wohlschméckende Morgenmahl. Als darauf die Kranke wie ein
Kind sanft in das frisch bereitete Bett zurückgelegt wird, da ist ihr
80 wohl, wenn auch oft nur auf Augenblicke, dalßß ihr Abschiedsblick
und -grusßß „Gott lohn's, Schwester El!“ genau so treu gemeint ist, wie
der Schwester „Behüt' die Gott, Frau P.!“
3. Mittlerweile ist es hell geworden auf der Straßße. In die
nächste Seitengasse einbiegend, folgen wir der Schwester E. durch
die niedre Eingangstür eines Hauses, diesmal jedoch nicht die Treppen
aufwärts, sondern eéinige Stufen abwärts, in der Richtung helltönender
Kinderstimmen. In dumpfiger, wenn auch grober Stube zu ebner
Erde harrt unsrer Führerin eine tobende Schar von Kindern, die sämt—
lich — das fünfte von wenigen Tagen in den Armen der Wöchnerin
ungeérechnet — der Fürsorge der Mutter zeitweise entbehren. Wohl ist
hier die Not in ihrer kKrassesten Gestalt nicht heimisch; denn der Er—
nährer lebt noch und ist im Augenblick in der nahen Fabrik tätig; doch,
will er den Verdienst nicht missen, so müssen es andre Hände sein,
welche die den seinigen ungewohnte Pflege von Frau und Kindern über—
nehmen.
Jubelnd empfängt die kleine Schar die ihnen wohlbekannte und
— schon weil sie nie mit leéren Händen Kommt — so gern geschene
Schwester und murrt nicht, wenn sie, beiseite geschoben, diese zunächst
auf das Bett der Mutter zuschreiten sieht. Erst nachdem hier das
Allernötigste besorgt ist, kKommt die kleine Vierzahl an die Reibe,
macht, vom Jüngsten angehoben, mit Wasser und Kamm genaue Bekannt-
schaft und gewinnt unter dem Einfluß beider sichtlich, im Aubßern so—
wohl wie an innerm Behagen. Lüsternen Auges verfolgen sie nun die
Schritte und weitern Hantierungen der Schwester, die, mit den Ortlich—
keiten und so ziemlich auch mit den kleinen Vorräten des Hauses genau
bekannt, sich jetzt anschickt, das Frühmahl zu beréiten, und, sobald
es ferbig ist, auszutoilen. Nachdem das Alteésté das liebe „Komm, Herr
Josu, usW.“ gesprochen hat, verzehrt jedes sein Teil, das Kléeinste der
vier auf dem Schosßze der Schwester, die ihm sein Teil reicht.
Das Gesicht nicht von dem lieblichen Bilde wendend, hat die
Mutter leuchtenden Auges und vor Fréude klopfenden Herzens den
Vorgängen um sie her während länger als einer Stunde zugeschaut.
Nachdem auch die kranke Mutter und ihr Rind in jeder Be—
ziehung versorgt sind, schickt sich die Schwester nach herzlichem
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