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und an jedem Abend stellte sie die Lampe aus und wartete. Endlich 
war es bei ihr dunkel und das gewohnte Licht erloschen. Da riefen 
die Nachbarn einander zu: „Der Bruder ist gekommen!" und eilten 
ins Haus der Schwester. Da saß sie, tot und starr ans Fenster 
gelehnt, als wenn sie noch hinausblickte, und neben ihr stand die 
erloschene Lampe. Karl Müllenhoff. 
9. Die Herrgottskinder. 
Von oben sieht der Herr darein; 
ihr dürft indes der Ruhe pflegen; 
er gibt der Arbeit das Gedeihn 
und traust herab den Himmelssegen. 
Und wem: dann in Blüte die Saaten stehn, 
so läßt er die Lüftlein darüber gehn, 
auf daß sich die Halme zusammenbeugen 
und frisch aus der Blüte das Korn erzeugen, 
und hält am Himmel hoch die Sonne, 
daß alles reife in ihrer Wonne. 
Da stünd' es den Bauern wohl prächtig an, 
das alles in ihre Scheuern zu laden! 
Gott Vater hat auch seinen Teil daran; 
den will er vergaben nach seiner Gnaden. 
Da ruft er die jüngsten Kinder sein; 
die nährt er selbst aus seiner Hand, 
die Rehlein, die Häslein, die Würmlein klein 
und alles Getier in Luft und Land; 
das flattert herbei und kreucht und springt, 
ist fröhlich all' zu Gottes Ehr' 
und allgenügsam, was er bringt. 
Des freut sich der Herrgott mächtig sehr, 
er breitet weit die Arme aus 
und spricht in Liebe überaus: 
„All', was da lebet, soll sich freun, 
seid alle von den Kindern mein; 
und will euch drum doch nicht vergessen, 
daß ihr nichts könnt als springen und fressen, 
hat jedes seinen eignen Ton! 
Ihr sollt euch tummeln frisch im Grünen; 
doch mündig ist der Mensch, mein Sohn; 
drum mag er selbst sein Brot verdienen!" 
Theodor Storni.
	        
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