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nacht und auf Reisen, und man kann's ordentlich als'n Helm auf'n
Kopf sehen, wenn ein Gewitter aussteigt. Herzlicher Dank thut
wohl sanft, alter Narre, doch ist das auch keine Hundsfötterei,
heimlich hinlegen, und denn dem armen Volk als'n unsichtbarer
Geist hinlerm Rücken stehen und zusehen, wie's wirkt, wie
ie sich freuen und handschlagen und nach dem unbekannten Wohl⸗
thäter suchen. Und da muß man sie fuchen lassen, Andres, und
mit seinem Herzen in alle Welt gehn.
Aber hoͤr, man muß auch nicht jedem Narren geben, der einen
anpfeift. Die Leut' wollen alle gern haben und ist doch nicht
immer gut. Mangel ist überhaupt gesunder als Überfluß, und traun,
glaube mir, 5ist viel leichter zu geben als recht zu geben. Auf'n
Kopf mußle Dielrich was haben und 'n neues Vein auch das ver
steht fich; aber es giebt sehr oft Fälle, wo es besser und edler ist
abzuschlagen und hart zu thun.
Versteh mich nicht unrecht; wir sollen nicht vergessen, wohlzu⸗
thun und milzuteilen, das hat uns unser Herr Christus auch ge⸗
saͤgt, und was der gesagt hat, Andres, da laß ich mich tot drauf
schlagen. —
v du wohl eher die Evangelisten mit Bedacht gelesen, Andres?
— Wie alles, was er sagt und thut, so wohlthätig und sinnreich
ist, Nein und stille, daß man's kaum glaubt, und zugleich so über
alles groß und herrlich, daß einem 's Kniebeugen ankömmt, und
man's nicht begreffen kann! Und was meinst du von einem Lande,
wo seine herrliche Lehre in eines jedweden Mannes Herzen wäre?
Möcht ft wohl in dem Lande wohnen?
Ich habe mir einen hellen schönen Stern am Himmel ausgesucht,
wo ich mir in meinen Gedanken vorstelle, daß er da sein Wesen
mit seinen Jüngern habe. Ich segne den Stern in meinem Herzen
und bet ihn an, und oft, wenn ich nachts unterwegen an den
Rabbuni denke und zu dem Stern auͤfseh, überfällt mich ein Herz⸗
klopfen und eine so kühne überirdische Unruhe, daß ich wirklich
manchmal denke, ich ser zu etwas Besserm bestimmt als zum Brief⸗
tragen; ich trag' indes immer, den Weg hin und find auch bald
wieder, daß es mein Beruf sei. — Hall! 's wird schon Tag, und
der Morgen guckt durch die Vorhänge ins Fenster. Junge, mir
ist's so wohl dahier hinter den Vorhängen in dieser Frühstunde!
Möchte dich gleich umärmen! — Leb wohl! WMatthias Claudius.
152. Die drei Doppelgebote.
Drei Doppelgebote stehn geschrieben,
an denen nie die eine Seite
kann ohne die andere gelten.
Kind! Gott und Menschen sollst du lieben!
Zum andern: Bete und arbeite!
Zum dritten: Fürchte Gott und ehre die Eltern!