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Schon die gemischteren Colonien erhielten einen An¬
satz zur Depravation, der inzwischen durch längeres Zusam¬
menleben sich überwinden ließ; die gemischten Söldnerheere,
die Neutralisation der Gegensätze der mächtigsten, sitlich
entwickeltsten Griechenstädte vollendete das Verderben — und
nun war nichts mehr übrig, als einerseits Individuen, sit-
liche Atome, die sich zuweilen an die früheren sitlich festen
Zustände als an Ideale in ihrer Phantasie anklammerten,
in der Regel aber die vorhandenen leeren, mechanischen al-
gemeineren Verbände nur so viel als möglich zu ihrem
persönlichen Vortheil nutzten. Das Bedürfniss gemeinsa¬
men Schutzes band auch wohl hie und da größere Massen
fester an einander, und wo diese Massen noch in ihm
Stamverwandschaft eine natürliche Unterlage für ihre po¬
litischen Verhältnisse fanden, wie Achäer und Aetolier, er¬
innert ihr Erscheinen auch an beßere Zeiten — im Alge¬
meinen aber ergibt sich überal der Mangel ei¬
nes höheren, einigenden, unbestreitbaren An¬
haltepunctes für das Leben der späteren Gne-
ch e n. Die Religion konte ihn nicht bieten, denn sie halte
dasselbe^ Schicksal nothwendiger, aus ihr heraus sich ent¬
wickelnder Depravation erfahren wie der Stat. Auch die
Philosophie nicht, denn sie war bei den Griechen Werk
und Erzeugniss individueller Reflexion, und in ihren Rich¬
tungen so verschiden und widersprechend, wie die Lebensge¬
stalten selbst, über deren verwirrende Mannichfaltigkeit sie
eben hätte erheben sollen. Einzelne, auf gewissen Bildungs¬
stufen stehende konte sie führen, stützen nnd trösten; Grund¬
lage eines algemeinen, bindenden, sitlichen Bewustseins
vermochte sie nicht zu werden.
So war also auch das Suchen des griechi-
schenGeistes nachGott inWahrheit ein vergeb¬
liches; — ein solches, welches zwar vieles Herliche, wel¬
ches in einzelnen Momenten schöne, erfreuende, sitliche Ge¬
stalten und eine Fülle von Gedanken hervortrib, aber je¬
ne nur in natürlicher Kraft, diese zu eigenem Verderben,
wärend sich die christliche Welt, Wißenschast und Kunst
daran nachher gebildet, und was sie ihrer Natur nach dg-