90 Buch III. Allgemeiner Theil der politischen Geographie.
langt daneben schwerere, körperliche Arbeit. Daher folgen bei ihnen auf
Tage der härtesten Arbeit Tage der vollständigsten Unthätigkeit. Aber
rasch zivingt sie die Noth zu neuer angestrengter Thätigkeit. So bewegt
sich ihr Leben in schroffen Gegensätzen, und dadurch werden die Leiden¬
schaften geweckt! mit Recht werden daher vorzugsweise die Indianer
Nordamerikas Wilde genannt. Sie bedürfen weiter Räume, um existieren
zu können, und führen um ihre Jagdgründc unter einander blutige
Kriege, die wie Jagden ausgeführt werden. So kann ihre Zahl nur
gering sein und muß in Berührung mit civilisicrten Nationen rasch zu¬
sammenschmelzen.
Alle diese Völker haben kein Eigenthum; was sie erwerben,
dient nur dazu, das augenblickliche Bedürfnis zn befriedigen. Ihnen
stehen gegenüber die Völker mit Eigenthum d. h. diejenigen Völker,
welche sich Güter erwerben, nicht um sie rasch aufzubrauchen, sondern
um deren Früchte zu genießen. Solche Güter können sehr verschieden
sein, z. B. Hcerden, Ländereien, Bergwerke und dgl. mehr. Dadurch
tritt nun der Gegensatz von arm und reich auf, und da der reiche
sein Vermögen und seinen Einfluß über den armen erblich zu machen
wünscht, so sucht man nach Einrichtungen, welche im Stande sind, dies
zu leisten. Es treten in Folge derselben Standesunterschiede hervor, es
bildet sich namentlich aus dem Stande der Besitzenden der Adel aus,
.dessen natürliches Bestreben cs ist, das ursprünglich durch Reichthum
erworbene Ansehen sich auch für den Fall zu bewahren, daß jene Güter
verloren gehen. Eine andere wichtige Folge des Besitzes von Eigenthum
ist die, daß Gesetze zum Schutze desselben gegeben und Obrigkeiten zur
Handhabung derselben ernannt werden, womit die Grundlage der Staaten¬
bildung gegeben ist.
Wir theilen diese zweite Völkerabtheilung in zwei Classen, deren
erste die wandernden Völker (Nomaden) umfaßt. Ihr bewegliches
Eigenthum besteht in Hcerden, und wir finden dergleichen Völker ur¬
sprünglich in Mittel- und Nordasien, sowie in Afrika. Ihr Leben ist
im allgemeinen ein friedliches und behagliches, voller Geselligkeit und
Gastfreundschaft. Das Volk ist gewöhnlich in eine Reihe kleiner Stämme
getheilt, welche,-obwohl an Sitten .und Anschauungen durchaus gleich¬
artig, doch kein rechtes Gefühl der Zusammengehörigkeit haben, viel¬
mehr oft in steten Kämpfen um den Besitz von Weideplätzen oder Quellen
(so die Beduinen) leben. Gelingt es dann einem glücklichen Anführer
erst einige Stämme unter seiner Herrschaft zu vereinen, so schwillt bald
seine Macht lawinenartig an, und dann ergießen sich bald seine Schaaren
wie eine Ueberschwemmung über die Nachbarländer. Aber bald pflegt
auch das auf solche Weise gegründete Reich zu zerfallen. Beispiele liefert
die Geschichte Arabiens seit Muhamcd, die Geschichte der Mongolen.
Bei den Gauchos in Südamerika tritt ähnliches ein. Auch hier sind
die rasch wechselnden Dictatoren der La-Plata-Staaten ursprünglich
kühne Anführer einer Bande von Gauchos, die auf kurze Zeit das Uebcr-
gewicht über die anderen erlangt.
Im übrigen hängt der Charakter eines Hirtenvolkes wesentlich von