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ihm die Geschäfte übrig ließen. Dazu bedurfte er keines weichen
Lagers, noch der Stille der Nacht, nnd oft sahen ihn seine Krieger,
mit einem kurzen Feldmantel bedeckt, zwischen den Wachen und
Posten auf dem Boden liegen. Seine Kleidung war von der
seiner Genossen in nichts unterschieden, nur Waffen und Rosse
kündigten den Feldherrn an. Er war bei weitem der beste Reiter
wie der beste Fußgänger. Als vorderster ging er ins Treffen,
als letzter kehrte er zurück. Aber neben diesen großen Vorzügen
besaß er auch gewaltige Fehler: unmenschliche Grausamkeit, ma߬
lose Treulosigkeit/ nichts war ihm heilig, er kannte feine Furcht
der Götter, keinen Eid, kein Gewissen.
Mit solchen Tugenden und solchen Fehlern trat Hannibal an
die Spitze des Heeres.
37. Die römische Weltherrschaft
Wilhelm von Giesebrecht.
Bon den: Mittelmeere bis an den Euphrat, von der Donau
und Nordsee bis zu den Wasserfällen des Nits umrat alle Länder
und Völker dem römischen Volke und seinem Kaiser unterthänig /
wohl hat es größere Reiche gegeben unb giebt es noch jetzt, aber eine
schönere und reichere Herrschaft hat die Zeit nicht gesehen. Ein
Gesetz, ein Recht, gleiche Grundsätze der Verlvaltung herrschten
von einem Ende zilin anderen, dasselbe Heerwesen, ein festge¬
ordnetes Steuersystem, ähnliche Verhältnisse von Stadt und Land
waren in allen Teilen des Reiches, nnd in der Mitte desselben
lag die gebietende Hauptstadt, die Stadt ohne Gleichen. Schon
zu Augustus' Zeiten barg Rom eine Bevölkerung von mehr als
einer Million Menschen, die Stadt strahlte von Gold uud Marmor,
sie leuchtete von Denkmalen menschlicher Kunst tutb Erfindungs¬
gabe, wie sie die Welt zuvor nicht gekannt hatte, und wie sie
noch heute in ihrem Verfalle als unerreichte Muster angestaunt
werden. Alle Kraft und alle Fiille des weiten Gebietes sammelten
sich hier, die unermeßlichen, mannigfaltigen Schätze des Weltalls
strömten hier zusammen, und doch diente alles, was das Reich
und die Stadt in sich hegte, zuletzt wieder nur dem Willen des
einen Mannes, der, scheinbar ein Bürger unter Bürgern, vom
palatinischen Hügel aus Rom und mit Rom fast die ganze be¬
kannte Welt beherrschte.
Den: Cäsar Augustus gehorchte in den Provinzen ein stets
schlagfertiges Heer von 350000 Mann, während zur Bewachung
seiner Person und Sicherung der Stadt etwa 16 000 Mann in