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erstaunten Auge phantastische Zieraten dar, die der Übermut der antiken
Bildhauer und Maler geschaffen hatte: sonderbare Verbindungen von
Menschen- und Tierleibern, von Tier- und Pflanzenformen, von
Möglichem und Unmöglichem, in denen die Einbildungskraft der Künstler
ihr wildes Spiel getrieben hatte. Grotesk, d. h. in Grottenmanier
gehalten, nannte man in der Folge die Zieraten, mit welchen die Künstler
des 16. Jahrhunderts namentlich die architektonischen Formen zu umranken
und zu beleben pflegten. In grotesker Art sind beispielsweise die
berühmten Malereien ausgeführt, mit denen Raffael und seine Schüler
die Loggien des Vatikans ausschmückten. Aber was dort von sinnigem
Geschmack und feiner künstlerischer Maßhaltnng ausgestaltet wurde, das
gedieh bei anderen ins Riesenhafte und Ungeheuerliche. In dieser Art
wuchs es sich auch bei Rabelais und Fischart ans. Bei letzterem —
dieser geht uns hier ja allein an — steht oft dicht nebeneinander das
Zarteste und Gewaltigste, das Ernsteste und das Lustigste, das Edelste
und das Gemeinste, und der Leser muß scharf auf den leitenden Faden
achten, will er sich nicht in diesem Labyrinth verlieren.
Der leitende Faden aber in Fischarts gesamter schriftstellerischer
Tätigkeit ist die Liebe zu edler Freiheit. Sie macht ihn ebenso zum
Gegner der lutheranischen Unduldsamkeit, wie sie sich in der Konkordien-
formel anssprach, wie zum Gegner der Jesuiten, gegen die er, wieder
auf Grund eines französischen Gedichtes, das „Jesuiterhütlein" veröffent¬
lichte. Die Schicksale der Protestanten in Frankreich verfolgte er mit
tätigem Anteil; durch Übertragung französischer Flugschriften, denen er
gern einige Reime beifügte, suchte er den Anteil der deutschen Religions¬
verwandten für die bedrohten Hugenotten wachzuhalten. Ans dem
Niederländischen des Philipp Marnix übersetzte er den „Bienenkorb",
eine im calvinistischen Sinne gehaltene Satire wider die Spanier und
die von ihnen in den Niederlanden versuchte Gegenreformation, und als
dann die Armada Philipps des Zweiten vernichtet, die große europäische
Aktion gegen den Protestantismus vereitelt war, da veröffentlichte der
immer rege Publizist einen Triumphspruch zu Ehren der Königin
Elisabeth von England und einen spöttischen Gruß an die Spanier voll
Siegesfrende und Freiheitsliebe. Indes würde man ihm unrecht tun,
wollte man nur Spott und lose Laune bei dem sprachgewandten Manne
voraussetzen. Aus der Tiefe eines feurigen Gemütes quollen ihm seine
Umdichtungen der Psalmen und seine „ernstliche Ermahnung an die
lieben Deutschen". Den elsässischen Leser interessieren besonders die
Gedichte, mit denen er das im Jahr 1588 zwischen Zürich, Bern und
Straßburg gestiftete Bündnis feierte, als diese Städte sich gegen die
drohenden Übergriffe der spanischen Politik zu wahren suchten. In ähn¬
lichem Sinne hatte er schon vorher sein „Glückhaft Schiff von Zürich"