Aus den Vorworten der früheren Auflagen.
Vei der Bestimmung des UmfaMs dieses Bandes wurde auf die an vie¬
len Schulen bestehende Einrichtung ,emes zweijährigen Cursus für die Tertia Be¬
dacht genommen. Die Poesie als Uv edlere Theil, der höchste Schmuck unserer
Literatur, erhielt die Ehre des Vortritts. In Erwägung des Umstandes, daß kein
geringer Theil unserer Schüler in der Tertia den Schlußstein der Schulbildung
zu legen pflegt, wurden nur die klassischen Erzeugnisse der beiden Blütenperioden
der Deutschen Literatur, der mittelalterlichen und der neueren, bei der Auswahl
berücksichtigt, aus der ersteren wiederum nur die gewaltigen epischen Gedichte, so¬
weit sie in erneuerter Gestalt auch der Zugend zugänglich geworden sind. Einem
Alter, welchem vor Allem große Bilder von Heldensinn und Heldentreue, von
Manneskraft und Mannesthat die Seele entzünden sollen, kanu nichts den va¬
terländischen Sinn und edle jugendliche Begeisterung mehr Weckendes, Nährendes,
Erhebendes vorgeführt werden als die Gestalten der Deutschen Heldensage. So
findet die Aufnahme der Probe aus „Walther und Hildegunde" ihre Berechti¬
gung nicht bloß darin, daß, wie W. Menzel sagt, in jenem Liede „die Geschichte
im hellen Vordergründe steht, daß es die lebendigste Erinnerung an eine Zeit
enthält, in welcher Deutsche Volksstämme und Nirstengeschlechter unter dem Drucke
Attilas seufzten, um sich in nicht langer Zeit frkvdig wieder von ihm loszureißen",
sondern auch in der poetischen Hoheit, mit welcher es den schönsten Schimmer
christlichen Heldenmuthes und frommer Treue auf Walthers Stirne legt. Weiter
mußte Siegfrieds Heldenbild in seiner alle andern überragenden Herrlichkeit sich
erheben, der zweite Theil der Nibelungensage aber wegen der in ihm ruhenden
tieferen poetischen Motive von einer Sammlung für Tertianer ausgeschlossen wer¬
den, während wiederum die Hauptzüge der einfacheren, kindlicheren Gudrunsage
entrollt werden konnten. Die verhältnißmäßig größte Ausdehnung erhielt die
Sammlung von poetischen Erzählungen, Balladen und Romanzen, weil die mit
innerer Tiefe sich paarende Anschaulichkeit ihres Inhalts sowohl die Befruchtung
der Phantasie als auch das Reifen der ersten höheren Gedankcnfrüchte zu be¬
fördern geeignet schien. Die Eintheilung dieses Abschnitts nach den Quellen des
in den Gedichten bearbeiteten Stoffs wurde in Hinsicht auf die Bedürfnisse
eines erklärenden Unterrichts jeder andern vorgezogen. In der Sammlung ly¬
rischer und dramatischer Lesestücke sollten, wie in der epischen Auslese, lebensvolle
Beziehungen zur Geschichte, namentlich zur vaterländischen, hervortreten.
Die prosaische Abtheilung lehnt sich in ihrem ersten Abschnitte, den Sagen,
fast ganz an die poetische an. Die Sagen sind in der Weise gekürzt worden,
daß sie in den entsprechenden Abschnitten des poetischen Theils eine leicht für
den Unterricht zu verwerthende Ergänzung finden. Die geschichtlichen Dar-